Blutdruck messen und Gospel singen: Die Kirche auf der Bundesgartenschau

Das bunte Fahnendach des Kirchengartens auf der Mannheimer Bundesgartenschau ist von weither sichtbar. Hier wird gesprochen, recycelt und überrascht – über einen ungewöhnlichen Aufritt der Kirchen.

Die Bundesgartenschau findet dieses Jahr vom 14. April bis 08. Oktober in Mannheim statt.
Die Bundesgartenschau findet dieses Jahr vom 14. April bis 08. Oktober in Mannheim statt.Imago / HEN-FOTO

Sie haben beim Eingang keinen Geländeplan mehr erhalten, also haben sie sich an den Weinfässern orientiert. „Uns sagte jemand, das Kirchenareal liegt in der Nähe eines Weinstandes“, erzählt Schwester Walpurgis. Die 82-Jährige ist Oberin der Vinzentinerinnen, die im Mannheimer Theresienkrankenhaus leben. Heute pflegt sie aber keine Kranken, heute hat sie frei und ist mit Schwester Marieta auf der Bundesgartenschau (Buga). Was sie sehen, gefällt ihnen. Schwester Walpurgis weist auf die im Wind flatternden Bänder, die den Kirchenauftritt im Spinelli-Park wie ein Dach überspannen: „Man sieht, dass sich etwas bewegt, und Kirche soll sich ja bewegen.“

Die wehenden Banner, die einmal Fahnen waren, die in lange Streifen geschnitten und an Drähten aufgehängt wurden, sind von weithin zu sehen. Auch von denen, die nicht vorhatten, den Kirchen einen Besuch abzustatten. So wie Michaela Bänder aus Angelbachtal, die sich mit ihren Begleiterinnen auf einer Holzbank niedergelassen hat. Vor ihnen plätschert ein kleiner, künstlicher Bachlauf. „Das Bunte hat uns angezogen“, sagt Bänder. Die Glocke, das Kreuz, das hätten sie erst später gesehen.

Aus Kirche wird Möglichkeitsgarten

Kirchturm, Kirchenschiff, Kreuzgang – das Gelände ist nach einem traditionellen Kirchengrundriss gestaltet. Doch Kirche heißt hier nicht Kirche, sondern Möglichkeitsgarten. Beackert wird er von katholischer und evangelischer Kirche gemeinsam: „Hier wachsen Perspektiven“, lautet das Motto. So wie die Buga unter dem Stichwort „Beste Aussichten“ steht, will auch die Kirche nach vorne blicken.

„Wie geht gute gemeinsame Zukunft in Gottes Welt – das ist die Frage, die wir uns stellen und über die wir mit den Menschen ins Gespräch kommen wollen“, sagt die evangelische Pfarrerin Nina Roller. Sie bildet mit Barbara Kraus von der katholischen Kirche und Valentina Ingmanns das ökumenische Projektteam.

Ins Gespräch kommen im Möglichkeitsgarten so einige. Ein Besucher will wissen, woher die Glocke stammt – die hing in der Mannheimer Jesuitenkirche und wäre von den Nationalsozialisten beinahe eingeschmolzen worden. Was da rumflattert? Alte Fahnen, unter anderem vom Katholikentag in Stuttgart im vergangenen Jahr. Die Buga will nachhaltig sein, so geht es hier viel um Recycling und Upcycling.

Käsebrötchen, gekochtes Ei, Remoulade

„Die Holzstämme aus dem Kirchturm unseres Kirchengartens werden später Teil eines Kinderspielplatzes“, erklärt Dagmar Thelen. Sie ist eine von mehr als 100 Möglichkeitsmacherinnen, wie sie sich nennen, die ehrenamtlich im Garten Dienst tun.

Jeden Sonntag ist Gottesdienst, dazu gibt es Segensfestivals, Tauffestivals, ökumenische Gottesdienste mit Eucharistiefeier und Abendmahl. Gleich ist Mittagsandacht. Claudia Seitz, Kantorin der evangelischen Johannisgemeinde, und sechs Mitglieder des Projekt-Gospelchors proben bereits ihre Lieder. Zwei Mal am Tag finden kurze Andachten statt.

Während vorne geprobt wird, haben hinten auf den farbig lackierten Kirchenbänken, die früher in einer Mannheimer Kirche standen, zwei Frauen Platz genommen. Auf dem Tisch breiten sie ihr Mittagessen aus, Käsebrötchen, gekochtes Ei, Remoulade. „Hier sah es einladend aus, dazu die schöne Musik“, sagen sie.

Woche der Überraschungen

Neben ihnen haben Laura Brenneisen und Giuditta Balbo von der Sozialstation Neckarau-Almenhof einen Tisch aufgestellt und Informationsmaterial ausgelegt. Sie fragen Passanten: „Sollen wir Ihren Blutdruck messen?“ Jede Woche wechselt der Fokus im
Kirchengarten: Mal geht es um Armut und Reichtum, um Einsamkeit und Leben in Beziehung, um Genderidentität, Migration, den Alltag in Dörfern und Städten. Dies ist die Woche der Überraschungen. „Heute ist der Blutdruck die Überraschung“, lacht Laura Brenneisen.
Armin Zisgen schlägt drei Mal die Glocke, es ist Punkt 12.00 Uhr.

Zwei Dutzend Menschen sind zur Andacht gekommen. Vielleicht waren sie nur zufällig in der Nähe. Gerade deshalb ist es wichtig, dass Kirche auf Veranstaltungen wie der Buga präsent ist“, findet Gabriele Roppelt. Sie sei aus Sigmaringen und dort in der Kirche aktiv. Aber es würden immer weniger. Deshalb: „Die Kirche muss dorthin gehen, wo die Menschen sind.“