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Blockaden und Boykotte – Proteste in Serbien nehmen Fahrt auf

Nachdem die demonstrierenden Studenten in Serbien zu “zivilem Ungehorsam” aufgerufen haben, stehen die Zeichen auf Eskalation. Präsident Vucic versucht, sein sorgfältig aufgebautes politisches Kartenhaus zu sichern.

Straßenbarrieren, Prügel und Verhaftungen: In Serbien droht die innenpolitische Lage immer mehr zu eskalieren. Seit Monaten ist der Balkanstaat fest im Griff von Massenprotesten. Im Zentrum stehen junge Menschen, darunter zahlreiche Studierende, die viel Prügel einstecken müssen.

“Hört auf, die Kinder zu schlagen!”, schrie deshalb auch Vladimir Stefanovic in Serbiens Hauptstadt Belgrad Ende Juni den Polizisten entgegen. Im nächsten Moment rasselte der Schlagstock auch auf ihn nieder. Die Folge: Der Anästhesist saß bis Wochenbeginn in Haft. Die Regierung wirft ihm vor, bei der Großdemo eine Schlagwaffe getragen zu haben, was er bestreitet.

Eingedämmt hat das den Unmut aber nicht, im Gegenteil. Ein Aufruf zu neuen Protesten folgte. Diese finden längst nicht nur in der Hauptstadt statt. Auch in der westserbischen Stadt Uzice gingen die Menschen am Mittwoch auf die Straße, um gegen die Festnahme mehrerer Regierungskritiker zu demonstrieren, darunter Professoren, Kommunalpolitiker und Anwälte. Aus Solidarität mit einem verhafteten Kollegen legten Serbiens Anwälte für drei Tage die Arbeit nieder.

Igor Bandovic ist Jurist und Direktor des Zentrums für Sicherheitspolitik in Belgrad. Mit Sorge blickt er auf die “zunehmend repressiven Maßnahmen” gegen Studenten und andere Aktivisten. Habe die Regierung gehofft, die Proteste würden mit der aufkommenden Ferienzeit allmählich verebben, sei der Widerstand ungebrochen. “Was wir jetzt erleben, ist der politische Missbrauch der Polizei, und vermutlich noch gefährlicher: der Staatsanwaltschaft. Beide werden instrumentalisiert, um politische Gegner zu verhaften, festzuhalten und einzuschüchtern.”

Bandovic erkennt Parallelen zu der Geschichte des zerfallenden Jugoslawiens. Schon vor 25 Jahren gingen die Massen in Belgrad auf die Straßen, um Machthaber Slobodan Milosevic zum Rücktritt zu zwingen. “Das derzeitige Ausmaß von staatlicher Repression erinnert an die letzten Jahre der Milosevic-Herrschaft”, so der Jurist.

Als Auslöser der seit sieben Monaten andauernden Studentenproteste gilt das Bahnhofsunglück von Novi Sad. Bei dem Einsturz eines Vordachs waren im November 2024 insgesamt 16 Menschen getötet worden. Kritiker der Regierung von Aleksandar Vucic vermuten Korruption und Schlamperei am Bau hinter dem Unglück.

Während die Studenten zunächst für politische Rechenschaft und gegen Korruption demonstrierten, fordern sie nun Neuwahlen. Aktuell nutzen sie dafür Straßenblockaden. Seit mehreren Tagen legen sie in Belgrad, Novi Sad und anderen Zentren den Verkehr lahm: mit Müllcontainern, Brettern und anderem Gerümpel.

“Diese Schritte sind jedoch immer sorgfältig und nach langer Wartezeit gewählt”, sagt Florian Bieber, Südosteuropa-Experte an der Uni Graz. Ihm zufolge hätten die Studenten erst auf die Straßenblockaden gesetzt, “als klar wurde, dass der Staat und die Regierung nicht auf die Forderungen reagieren”. Vonseiten der Studenten bleiben die Aktionen weitgehend friedlich.

Nicht alle Protestformen sind so in der Öffentlichkeit sichtbar. Seit Monaten gehen die Studierenden nicht mehr zu Vorlesungen. Auch Blockaden der Fakultäten gab es bereits. Die Studierenden besetzten zudem schon Gerichtsgebäude und Fernsehstationen.

Bilder davon waren längst überall zu sehen. Dennoch genießt Vucic weiter die Unterstützung einflussreicher Freunde. Dazu zählen neben loyalen Unternehmern und einer Reihe von Medien auch die serbisch-orthodoxe Kirche. Sie würden so lange “keine offene Kritik am System Vucic wagen”, bis sich ein deutlicher Machtverlust abzeichne, zeigt sich Bieber überzeugt. Dann könnte es dem Experten zufolge aber schnell gehen: “Sicherlich wird die Initiative für einen Wandel kaum von der Kirche oder den loyalen Medien ausgehen. Aber sie besitzen genug Opportunismus, um im richtigen Moment abzuspringen.”

Bereits jetzt gebe es in der größten Kirche Serbiens kritische Stimmen, berichtet Jurist Bandovic. Sie seien sowohl gegen die Vucic-Regierung als auch die regierungstreue Kirchenführung. Ein anderes Bild zeige sich bei den regierungstreuen Sendern und Zeitungen: “Sie haben ihre Wahl bereits getroffen. Sie wissen, dass mit einem politische Machtverlust auch ihre Sendeprivilegien und andere Vorteile durch den Staat wegfallen würden.”