Blick durch die Brille des anderen

Das Verhältnis der evangelischen und katholischen Kirche zueinander abseits aller Werbekampagnen war Thema beim Forum mit dem katholischen Theologen und Ökumene-Experten Burkhard Neumann in Haus Nordhelle

Jens Schulze

Es „luthert“ und „zwingliert“ allerorten: Zum 500. Reformationsjubiläum rocken Luther-Musicals das Kirchenvolk und Kirchenreisen locken nach Wittenberg – natürlich auf Luther-Socken mit dem Aufdruck „Hier stehe ich, ich kann nicht anders!“. Der einmalige Feiertag am 31. Oktober in diesem Jahr und der vorlaufende Marathon von Konzerten, Ausstellungen und Filmen wollen die Bedeutung der 500 Jahre alten Kirchenerneuerung für die Gegenwart fruchtbar machen und kurbeln zudem den schwunghaften Handel mit Luther-Rosen und Katharinen-Bier an. Dieser Hype um die Reformatoren Martin Luther und Philipp Melanchthon, Ulrich Zwingli und Johann Calvin treibt zuweilen seltsame Blüten und wirkt wie ein moderner Heiligenkult, den die Reformation eigentlich abgeschafft hatte.
Doch wie steht es abseits dieser Werbekampagnen um das Verhältnis der evangelischen und katholischen Kirche? Klappt es mit der Ökumene auf der Leitungsebene und vor Ort in den Gemeinden? Können evangelische und katholische Christen die Reformation gemeinsam feiern oder schmerzen die Wunden zu sehr, die sich beide Kirchen im Laufe der Zeit gegenseitig zugefügt haben?
Damit setzte sich das MÖWe-Forum Südwestfalen „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“ im Evangelischen Tagungszentrum „Haus Nordhelle“ in Meinerzhagen-Valbert auseinander. Dabei beschrieb der katholische Ökumene-Experte Burkhard Neumann die „reformatio“, also die Erneuerung und situative Veränderung als ein Grundanliegen jeder christlichen Kirche: auf der Höhe der Zeit sein und die Menschen gleich welchen Glaubens mit der Botschaft des Evangeliums erreichen. Sodann plädierte er dafür, die im 16. Jahrhundert von Martin Luther und Johann Calvin angestoßene Reformation nicht isoliert zu betrachten, sondern im Kontext einer breiten Erneuerungsbewegung in Kirche und Gesellschaft zu sehen.
Noch heute assoziieren viele Katholiken mit der Reformation die tiefe Kirchenspaltung, während evangelische Christen sie vor allem mit der Wiederentdeckung des Evangeliums, Glaubensgewissheit und Freiheit verbinden. Angesichts dieser gegensätzlichen Bewertung beschrieb Neumann, Direktor am Johann-Adam-Möhler Institut in Paderborn, die erstaunliche Wandlung des Lutherbildes in der katholischen Theologie. Galt Luther vor 100 Jahren noch als Ketzer und moralisch verkommene Existenz, wird er heute als tief religiöse Persönlichkeit, gemeinsamer Lehrer der Kirche und Zeuge des Evangeliums gewürdigt.
Dieser signifikante Wandel sei ein Beleg, so Neumann, dass nicht die historischen Ereignisse sich verändern, wohl aber die Erinnerung an sie und ihre Deutung für die Gegenwart. „Es geht nicht darum, eine andere Geschichte zu schreiben, sondern die Geschichte anders zu erzählen.“ Die große Chance des aktuellen Gedenkens der Reformation liegt nach seinen Worten in dem Dreiklang von Buße, Dank und gemeinsamem Glaubenszeugnis für die Welt. Neidlos ins Wort fassen, was man am anderen bewundert, und zugleich bekennen, wie sehr man das Gegenüber bekämpft und verwundet hat, mache den Blick frei und ebne den Weg zu größerer Einheit.
Dieser „Healing of Memories“ genannte Weg der schrittweisen Versöhnung und Annäherung der Kirchen ist auch in dem 2013 veröffentlichten Bericht der Lutherisch-Katholischen Kommission für die Einheit der Kirche skizziert und steht unter dem Leitwort „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“. Nach  Jahrzehnten bewusster Absetzung und konfessionstrennender Kontroverse ist das Reformationsgedenken 2017 das erste im Zeitalter von Ökumene und Globalisierung.
Das bietet die große Chance, die Fortschritte auf dem Weg zueinander sowie die gemeinsamen Überzeugungen offensiv zu vertreten. Die ökumenische Bewegung hat die Kirchen einander deutlich angenähert,  wie die Kommission feststellt. Die zahlreichen Begegnungen, gemeinsame Gottesdienste, Bibelwochen sowie Veranstaltungen auf Gemeinde-  wie Leitungsebene haben Vertrauen und Verständnis wachsen lassen.
Zwar könne man katholischerseits das Reformationsjubiläum nicht einfach so mitfeiern, schloss Neumann seine Ausführungen, aber das Reformationsgedenken dankbar und nach vorne denkend aufgreifen. Ganz im Sinne der Ökumenischen Imperative des Dokuments „Vom Konflikt zur Gemeinschaft“: von der Perspektive der Einheit der Kirche ausgehen, an der sichtbaren Einheit arbeiten und die Kraft des Evangeliums Jesu Christi für unsere Zeit wieder entdecken, also verständlich von Gott reden und gemeinsam zum Glauben an Christus einladen.

Martin Ahlhaus ist Regionalpfarrer des Amtes für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung (MÖWe) der Evangelischen Kirche von Westfalen in der Region Südwestfalen.