Bistum Essen: Mehr als 420 Fälle sexueller Gewalt

Im Ruhrbistum gab es seit Gründung im Jahr 1958 zahlreiche Fälle von sexualisierter Gewalt – von Priestern und auch Ordensfrauen. Eine neue Studie zeigt das große Ausmaß von sexualisierter Gewalt.

Missbrauchsbetroffene und Vertreterinnen verschiedener Kircheninitiativen stehen mit Plakaten vor der Residenz des Essener Bischofs.
Missbrauchsbetroffene und Vertreterinnen verschiedener Kircheninitiativen stehen mit Plakaten vor der Residenz des Essener Bischofs.Imago / Michael Kneffel

Das Bistum Essen verzeichnet wesentlich mehr Betroffene sexualisierter Gewalt und Täter als bisher bekannt. Seit der Gründung vor 65 Jahren gibt es mindestens 423 Fälle und Verdachtsfälle. Die Zahlen mit Stand Februar 2023 legte das Ruhrbistum selbst bei der Vorstellung einer Aufarbeitungsstudie vor. Danach sind insgesamt 201 Personen beschuldigt, darunter 129 Geistliche und 19 Ordensfrauen. 2018 verzeichnete eine andere Studie für die Essener Diözese nur 60 beschuldigte Geistliche sowie 85 Betroffene seit der Gründung.

Das Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP), das Zahlen bis Oktober 2021 erfasste, kommt auf 190 Beschuldigte und 226 Betroffene. 120 stellten einen Antrag auf Zahlung in Anerkennung des Leids. Rund ein Viertel der Betroffenen sind weiblich.

Missbrauchsstudie: Auswertung von Personal- und Geheimakten

Das IPP in München führte die sozialwissenschaftliche Untersuchung in Kooperation mit dem Berliner Institut für Bildung und Forschung (Dissens) im Auftrag des Bistums durch. Die Forschenden werteten in den vergangenen drei Jahren Personal- und Geheimakten des 1958 gegründeten Bistums Essen aus. Zudem führten sie Interviews etwa mit Betroffenen und veranstalteten Gruppendiskussionen in Gemeinden.

Helga Dill (IPP) und Malte Täubrich (Dissens) führten aus, dass das Ruhrbistum bis ins Jahr 2010 unzureichend oder gar nicht auf Verdachtsfälle reagiert habe. Wegen dieser mangelnden Verantwortungsübernahme und der Versetzung von Tätern sei die sexualisierte Gewalt nicht gestoppt worden und die Zahl der Betroffenen gestiegen. Es seien keine Bemühungen des Bistums festzustellen, Betroffene zu unterstützen oder ausfindig zu machen

Missbrauchsskandal am Bistum: Kein Konzept erkennbar

Ab 2010 sei dann ein hartes Durchgreifen gegenüber den mittlerweile betagten Tätern zu erkennen, worin die Forschenden den Ausdruck eines institutionellen Schuldgefühls sehen. Ein Konzept für den Umgang mit straffälligen Klerikern fehle aber. 2010 wurde der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche durch die aufgedeckten Vorfälle am Canisius-Kolleg in Berlin wesentlich bekannt gemacht. Ende 2009 trat der aktuelle Bischof Franz-Josef Overbeck sein Amt in Essen an.