Biologin: Viele Arten sterben vor der Haustür

Um Orang-Utans und Regenwälder sorgen sich viele, doch das Artensterben passiert auch in Deutschland. Die Folgen sind nicht abzusehen, warnt die Ökologie-Professorin Katrin Böhning-Gaese.

Ein intaktes Ökosystem ist wichtig – für Mensch und Tier
Ein intaktes Ökosystem ist wichtig – für Mensch und TierImago / Blickwinkel

Das Artensterben spielt sich nach Worten der Biologin Katrin Böhning-Gaese auch vor der eigenen Haustür ab. „Die meisten Menschen sorgen sich um Tiger und Orang-Utans oder die tropischen Regenwälder“, sagte sie im Interview der Welt. In der Tat verschwänden dort viele Arten, doch hierzulande gingen Pflanzen und Tiere durch intensive Landwirtschaft verschwunden.

Für dieses Thema brauche es die gleiche Aufmerksamkeit wie für die Klimakrise, mahnte die Professorin für Ökologie der Goethe-Universität Frankfurt. „Beide Krisen verstärken sich gegenseitig. Beim Klimawandel geht es darum, wie wir überleben, beim Artensterben, ob wir überleben. Keine Spezies kann allein existieren, auch nicht der Mensch.“ Häufig bekämen die Menschen die Auswirkungen des Artensterbens jedoch nicht mit: „Viele Tiere und Pflanzen verschwinden ohne großen Wirbel, schleichend und unauffällig.“ Dies sei auch beim Klimawandel lange der Fall gewesen, bis sich Dürren und Waldbrände gehäuft hätten.

Insekten nicht zu ersetzen

Von vielen Arten wisse die Fachwelt noch nicht, welche Funktion sie in den Ökosystemen hätten, mahnte Böhning-Gaese. „Mit acht Millionen verschiedenen Tieren, Pflanzen und Pilzen auf der Erde und fast unendlich vielen Interaktionen ist es schwierig abzuschätzen, was passiert, wenn die nach und nach rausfallen – und wie viele Ausfälle wir uns leisten können.“ Der deutsche Wald zeige beispielhaft, dass artenreiche Systeme grundsätzlich stabiler seien als artenarme.

Auch ließen sich Insekten als Bestäuber nicht einfach ersetzen – „oder nur unter extrem hohem Aufwand, wie das Beispiel der Bestäubung per Pinsel in China zeigt“, erklärte die Expertin. Drei Viertel aller Nutzungspflanzen, die der Mensch anbaue, seien von Insekten abhängig. Zudem führe eine hohe Vielfalt an Insekten im Wald laut Studien zu mehr Holzertrag und Kohlenstoffspeicherung. Insgesamt sei derzeit eine Million Arten vom Aussterben bedroht.