Bingo spielen – endlich wieder ohne Abstand

Alte Menschen in Pflegeheimen sind meist schon seit Monaten geimpft. Trotzdem gelten noch einige Corona-Regeln. Doch langsam zieht Normalität ein.

Die Bewohner des "Katharina-von-Bora-Hauses" in Osnabrück können endlich wieder Bingo spielen
Die Bewohner des "Katharina-von-Bora-Hauses" in Osnabrück können endlich wieder Bingo spielenMatthias Pabst / epd

Osnabrück. Elisabeth Grünebaum strahlt über das ganze Gesicht. Die 90-Jährige hat beim Bingo gewonnen. Nun darf die Bewohnerin des Diakonie-Altenheims „Katharina-von-Bora-Haus“ in Osnabrück sich aus einem Korb ein Geschenk aussuchen. Grünebaum kramt unentschlossen zwischen Tuben und Tiegeln: „Was ist das denn alles?“, murmelt sie vor sich hin. Ingrid Kruel (84) erklärt es und reicht ihr nacheinander Duschgel, Handcreme, Servietten über den Tisch. Grünebaum entdeckt einen kleinen Stoffteddy und hält ihn triumphierend in die Höhe: „Den nehme ich.“ Die beiden Frauen sitzen mit ihren Mitspielerinnen eng beieinander. „Das ist das erste Mal seit Beginn der Corona-Pandemie, dass wir wieder ohne Abstand und Maske Bingo spielen dürfen“, sagt Heimleiter Kai Wiese.

Dabei ist die Gruppe klein, nur sechs Frauen und ein Mann, dazu eine Praktikantin und an der Bingokugel mit den Zahlen die Leiterin des Sozialdienstes, Juliana Pekal. Beim Bingo, der Stuhlgymnastik oder auch beim Tischkegeln bleiben die fünf Wohnbereiche des Hauses mit 98 vollstationären Plätzen noch unter sich. „Wir dürften schon mehr, aber wir starten erstmal vorsichtig“, sagt Wiese.

Keine Tests mehr nötig

Seit Mitte April dürfen Bewohner von Altenheimen in Niedersachsen und vielen anderen Bundesländern wieder ohne Maske und Mindestabstand an Gemeinschaftsaktivitäten teilnehmen. Bedingung ist allerdings, dass nur vollständig Geimpfte mitmachen. Außerdem müssen sich Mitarbeiter und Besucher mit vollem Impfschutz vor dem Betreten der Häuser nicht mehr testen lassen. Grundlage ist die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts, dass von Geimpften so gut wie keine Infektionsgefahr mehr ausgeht und dass Covid-19-Erkrankungen bei Geimpften zumeist mild verlaufen.

 

Mehr ist an Lockerungen derzeit nicht drin. Auch Sabine Weber, Vorsitzende des Niedersächsischen Evangelischen Verbandes für Altenhilfe und Pflege, betont, den Heimen sei nicht daran gelegen, dass sich durch zu weitgehende Lockerungen das Coronavirus erneut ausbreite.

An diesem Morgen muss deshalb eine Bewohnerin auf ihrem Zimmer bleiben. „Sie ist erst später eingezogen und hat noch nicht den vollen Impfschutz“, erläutert Wiese. Der Heimleiter findet, dass die vorsichtigen Lockerungen schon früher hätten kommen können. „Immerhin sind hier seit Ende Januar mehr als 95 Prozent der Seniorinnen und Senioren geimpft.“ Auch bei den rund 100 Mitarbeitenden liege die Quote mittlerweile bei über 90 Prozent.

Besuchszeiten begrenzt

Ingrid Kruel hatte gehofft, dass es nach den Impfungen schneller wieder „normal“ wird. Aber die Besuchszeiten für Angehörige seien immer noch begrenzt und lägen oft dann, wenn Berufstätige arbeiten müssten. „Außerdem muss sich jeder erst einen Termin besorgen und sich testen lassen.“ Solange die Mehrzahl der Besucher nicht geimpft sei, werde das auch so bleiben, sagt Heimleiter Wiese.

Schinkenbrot im Biergarten

Kruel vermisst Treffen mit vielen Menschen, draußen wie drinnen: Bingo spielen mit der Nachbar-Wohngruppe oder große Geburtstagsfeiern mit der Familie. „Und mal wieder mit Freunden im Biergarten ein Schinkenbrot essen und ein Bier trinken“, sagt die 84-Jährige. Sie ergänzt achselzuckend: „Aber das wollen wir ja alle.“ Und immerhin dürften Sohn, Schwiegertochter und ihre ehemaligen Nachbarinnen überhaupt wieder kommen. Im vergangenen Jahr habe sie Weihnachten zum ersten Mal ohne ihre Familie gefeiert. „Das war schon komisch. Aber wir haben es auch überstanden.“

Gerda Menke (92) vermisst vor allem ihre Familie: Tochter, Enkelkinder und ihre erste Urenkeltochter Laura, die erst ein Jahr alt ist. „Immer dürfen alle nur einzeln kommen“, klagt sie, seufzt und fügt dann doch an: „Die Maßnahmen müssen ja sein. Es ist eben nicht immer alles so, wie man es möchte. Aber wo ist das schon so?“ Das Personal gebe sich sehr viel Mühe. Und sie könne in den Aufenthaltsraum ihrer Wohngruppe gehen, wenn sie Gesellschaft wolle. „Wenn ich in einer Wohnung leben würde, wäre ich alleine.“

Glimpflich durch die Krise

Insgesamt ist das Katharina-von-Bora-Haus noch glimpflich durch die Krise gekommen, erzählt der Leiter. Nur ganz zu Anfang, im März vergangenen Jahres, habe es einen Corona-Ausbruch in der Abteilung „junge Pflege“ gegeben. Alle drei Erkrankten seien leider gestorben, sagt Wiese. Seitdem sei es aber ruhig geblieben. Vor drei Wochen sei eine Mitarbeiterin in der Hauswirtschaft positiv getestet worden. „Da musste ich das Haus Hals über Kopf an einem Sonntag für 14 Tage schließen und alle Besucher nach Hause schicken.“

Der Heimleiter erlebt als Corona-Beauftragter für die Diakonie-Altenheime in der Region, dass andere Einrichtungen zum Teil große Probleme hatten und noch haben. Vor allem bei großen Ausbrüchen mit mehreren Erkrankten in verschiedenen Abteilungen sei die Belastung für die Mitarbeitenden enorm gewesen. „Danach sahen sich manche nicht mehr in der Lage, ihren Beruf noch weiter auszuüben und haben gekündigt.“ In anderen Heimen mit großen Speisesälen hätten die Bewohner monatelang allein auf ihren Zimmern essen müssen.

Nicht verschreckt von der Pandemie

Seine Vision für die Zukunft ist, „dass die Besuchszeiten wegfallen und alle so kommen und gehen können, wie sie wollen, und dass wir im Haus wieder große Feste feiern können“. Christa Wiechmann, die seit 13 Jahren ehrenamtlich Bewohner betreut, weiß, dass viele sich das Sonntags-Klönkaffee in großer Runde wieder wünschen. Doch sie sagt auch: „Das ist die Kriegsgeneration. Die Pandemie hat sie alle gar nicht so sehr geschreckt.“ (epd)