Bilderbuch-Oma hat immer noch kein Tablet
Mal verrückt, mal depressiv, oft fit – Bilderbücher für Kinder zeigen erstaunlich unterschiedliche Omas und Opas, sagt Andrea Wanner im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Fachbereichsleiterin der Volkshochschule Schwäbisch Hall hat für einen berufsbegleitenden Master an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe untersucht, wie Senioren in Bilderbüchern dargestellt werden. Am 1. Oktober ist der „Internationale Tag der älteren Generation“.
Wie es dem gesellschaftlichen Bild entspreche, beschäftigten sich 85 Prozent der dargestellten alten Figuren am häufigsten mit Kindern. „Sie präsentieren neben Erwartetem, wie den liebevoll zugewandten Omas und Opas, die Zeit für den Nachwuchs haben, auch Überraschendes“, so Wanner in ihrer Arbeit. Etwa die Oma auf dem Trampolin, oder den Opa, der in seinem Leben doch noch Dinge zum ersten Mal macht.
Wanner hat 121 Kinderbücher unter die Lupe genommen. Die Bücher sind allesamt zwischen 2000 und 2022 erschienen, die meisten in Deutschland.
Allerdings kritisiert Wanner, dass die Senioren oft als zu alt dargestellt werden. „Es wäre passender, die Figuren in den Büchern als Urgroßeltern zu titulieren“, erläutert Wanner dem epd. Deutsche seien laut einer Statistik von 2014 im Schnitt mit 52 Jahren erstmals Oma und Opa geworden. „Es ist davon auszugehen, dass Kinder in der Realität ihre Großeltern noch im Arbeitsleben sehen“, sagt Wanner, die selbst eine 63-jährige berufstätige Oma ist.
Aber Opa im Büro findet Wanner in den Bilderbüchern selten. Informationen zum Arbeitsleben gibt es oft nur als Blick in die Vergangenheit und Männer werden eher als Brötchenverdiener genannt: So wird bei 28 Prozent der Senioren der früher ausgeübte Beruf erwähnt, aber nur bei 13 Prozent der Seniorinnen.
Auch andere Stereotype und Klischees fallen auf: So backen und kochen 18 Prozent der dargestellten Frauen mit Kindern. Von den Männern bereiten nicht einmal zwei Prozent Essen zu.
Dafür sind Senioren öfter bei intellektuellem Zeitvertreib, wie Zeitung oder Bücher lesen, zu sehen. Und auch Computer, Handy und Tablet, sowieso insgesamt selten, befinden sich eher in Männerhänden. „Aber auch meine über 90-jährige Mutter hat ein Handy“, kritisiert Wanner das reproduzierte Klischee. Und auch das Bild der alten Frau als Hexe spuke noch in den Büchern herum.
Viele der älteren Figuren sind fit. „70 Prozent werden mit guter körperlicher und mentaler Gesundheit dargestellt“, steht im Text. Es werden auch depressive und sterbende Alte thematisiert. Wanner bemängelt allerdings, dass soziale Probleme, wie Einsamkeit, Ängste, Armut oder Sorge um den Partner nur selten angesprochen werden.
Was in den untersuchten Bilderbüchern grundsätzlich fehlt, sind Senioren der Gastarbeitergeneration oder Geflüchtete. Dabei lebten in Deutschland 2020 rund 2,2 Millionen Menschen über 65 Jahre mit Migrationshintergrund.
„Natürlich darf Literatur Geschichten erzählen“, sagt Wanner. Aber Bilderbücher seien noch immer das erste Medium für Kleinkinder. Durch inspirierende und realistischere Bilder könne eine „altersfreundliche und solidarische Gesellschaft entstehen“, heißt es in der Arbeit. Wanner fordert die Verlage daher auf, beim komplexen Thema „Alter“ doch öfter einmal etwas Neues auszuprobieren.
Der Verein „Gesellschaft – Altern – Medien“ (GAM) hat die Arbeit mit seinem Nachwuchspreis ausgezeichnet. Die Vereinigung hat sich der wissenschaftlichen Reflexion der Lebenswelten alter Menschen verschrieben. (2086/17.09.2024)