Berliner Bischof Stäblein: Das Verdrängen muss ein Ende haben
Im Interview erzählt Bischof Christian Stäblein von seinen Eindrücken, die er auf drei Gesprächsforen zum Thema sexualisierte Gewalt in der Kirche mitgenommen hat.
Bischof Stäblein, was sind die stärksten Eindrücke, mit denen Sie aus den Gesprächen gehen?
Chrsitian Stäblein: Das ist für mich gar nicht so einfach zu sagen, weil gerade bei diesem Thema jede Frage und jeder Beitrag von großer Bedeutung ist. Wir müssen hinhören und mehr als das, wenn wir eine andere Kirche wirklich werden wollen. Die drei Abende haben mir gezeigt, wie wichtig es für unsere Landeskirche ist, dass wir mit Foren dieser Art den offenen Austausch und das Gespräch anbieten und ermöglichen. Verschweigen oder Verdrängen sind unerträglich. Ich bin allen dankbar, die gekommen sind und sich eingebracht haben, hörend oder redend.
Welche Fragen haben die Teilnehmenden vor allem gestellt?
Immer wieder waren im Fokus die Fragen danach, was die Kirche denn nun tatsächlich tut, um dafür zu sorgen, dass die Strukturen so verändert werden, dass sich Fehler und Versäumnisse, Blindheit und Wegsehen nicht wiederholen. Dabei steht das Handeln im Vordergrund. Gesagt worden ist viel von Kirchenleitenden über den Schrecken sexualisierter Gewalt. Betroffene erzählen mehr als nachvollziehbar, dass sie nicht mehr hören mögen, wie sich wir Kirchenleitenden „erschüttert“ zeigen oder wie wir vorgeblich „am Anfang stehen“. Die wiederholenden Phrasen der Verantwortlichen kommen an ihr Ende, wenn nicht konkret veränderndes Handeln benannt und umgesetzt wird. Das ist für mich an diesen Abenden noch mal deutlich geworden.
Haben sich auch Betroffene zu Wort gemeldet und welche Wünsche oder Forderungen haben sie an die Kirche?
Die Gesprächsabende waren mit guten Gründen offen, gleichzeitig waren sie nicht öffentlich, was die medialen Zusammenhänge angeht. Insofern werde ich hier selbstverständlich nicht weiter geben, was gesagt wurde. Die Forderung nach tatsächlicher Veränderung habe ich geschildert, die Forderungen nach deutlich mehr Tempo, auch nach einheitlichen Standards EKD-weit sind damit verbunden.
Wie sieht Ihr Fazit aus? Sind weitere Maßnahmen notwendig, die sich aus den Gesprächen neu ergeben?
Zum einen bin ich überzeugt, dass es richtig ist, solche Gesprächsforen anzubieten. Ich kann mir gut vorstellen, das zu wiederholen. Es braucht den Kontakt über die verschiedenen kirchlichen Ebenen hinweg, immer wieder. Es ist ja ein Thema von Kirche und Macht. Da setzt schnell Verdrängen ein, das darf nicht sein. Zum Zweiten steht jetzt die Einrichtung der URAK, der unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommission, an, die wir zusammen mit der Nordkirche auf den Weg bringen. Neben der unabhängigen Anerkennungskommission, die seit einigen Jahren arbeitet, ist das eine weitere wichtige Einrichtung, die die Aufarbeitung voranbringen soll. Schließlich, drittens, brauchen wir auf der Ebene der EKD endlich Übereinkünfte aller Gliedkirchen, die wir dann in der Landeskirche umsetzen. Bundeseinheitliche Standards sind zwingend nötig. Ich bin hier ungeduldig, es dauert aus meiner Sicht schon zu lange. Die Veröffentlichung der Forum-Studie war vor einem dreiviertel Jahr. Es ist an der Zeit, dass endlich umgesetzt wird.
Glauben Sie, dass die Landeskirche Betroffene von sexualisierter Gewalt ausreichend mit einbezieht?
Das Wort „ausreichend“ empfinde ich in diesen Zusammenhängen immer als schwierig. Wir bemühen uns auf allen Ebenen, dass sich fortsetzt, wofür die ForuM-Studie steht: Dass die Betroffenen zu Wort kommen, dass sie in der Aufarbeitung einbezogen sind, dass sie Gehör finden und dass wir begreifen, wie sehr sich die Kirche verändern muss. Sie, die Betroffenen, sind Kirche. Auch das ist mir wichtig zu sagen, alles andere hat oft einen ausgrenzenden Unterton, der fortsetzt, was sie an Schrecken erfahren haben. Erst die Erfahrung von sexualisierter Gewalt – ausgerechnet im Raum der Kirche, die doch gerade für einen sicheren Ort stehen müsste und muss. Dann ist ihnen nicht geglaubt worden und sie wurden abgewiesen. Und schließlich werden sie wieder ausgegrenzt. Damit muss es ein Ende haben, wenn Kirche weiter Kirche sein will.