Mitarbeitende der Deutschen Welle (DW) werfen ihrem Sender vor, bei der Berichterstattung über den Krieg im Nahen Osten kontinuierlich gegen die journalistischen Standards der Pluralität, Neutralität und Unabhängigkeit zu verstoßen. Es werde einseitig über den Krieg zwischen der Terrororganisationen Hamas und dem Staat Israel nach dem mörderischen Angriff auf die Juden am 7. Oktober 2023 berichtet. Kritische Berichte über die Hamas und die libanesische Hisbollah bei Deutsche Welle TV und deren Online-Portal sowie in Auftritten in sozialen Netzwerken des Senders seien „sehr selten bzw. fast gar nicht vorhanden“, heißt es. Stattdessen werde Israel oft als Hauptaggressor dargestellt. Es komme zur Täter-Opfer-Umkehr.
Der Evangelischen Zeitung liegt umfangreiches schriftliches Material vor, das ehemalige und aktive Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Deutschen Welle über Monate gesammelt haben, mit dem sie diese Vorwürfe belegen und systematisch einordnen. Sie wollen anonym bleiben, weil sie wegen ihrer kritischen Haltung und der Ablehnung einzelner antisemitischer Vorfälle dem Vernehmen nach gegenüber ihrem Arbeitgeber erheblich unter Druck stehen.
Deutsche Welle: Soziale Netzwerke in der Kritik
Die Mitarbeitenden führen diese Situation auf mangelnde redaktionelle Kontrolle zurück, was wiederum eine Folge der Schließung der deutschen Abteilung durch die Geschäftsführung im Jahr 2018 sei. Derzeit könne die DW ihre Inhalte in Dutzenden Sprachen weltweit, darunter Arabisch, nicht wirklich kontrollieren, hieß es.
Eine der früheren Mitarbeiterinnen sagte der Evangelischen Zeitung: „Ich habe die einseitige Berichterstattung auf Englisch auf allen Kanälen beobachtet, von der Fernsehberichterstattung über DW-Online bis hin zu – besonders stark – Facebook und Instagram.“ Ganz klar sei, dass eine „Flut antisemitischer Nutzerkommentare zu den DW-Beiträgen in den Medien einfach stehengelassen wird.“

So relativiert ein User auf dem Instagram-Kanal der Deutschen Welle den Holocaust durch die Nationalsozialisten mit diesen Worten: „Wurde die 6-Milllionen-Zahl nicht vor Jahren entlarvt und sogar von Historikern in den Lagern revidiert?“ Ein anderer Nutzer postet: „Erinnern Sie sich an einen Völkermord, während sie aktiv einen begehen. Die ganze Welt schweigt über den israelischen Holocaust.“ Das ist nur ein Beispiel einer Flut von antisemitischen Kommentaren. Sie gehen von regelmäßigen Nazi-Vergleichen, Vorwürfen des Kindesmordes bis hin zum Hitler-Lob.
Die DW berichtet nach Ansicht der kritischen Mitarbeitenden außerdem nicht aktuell über die iranischen Anschlagspläne in Deutschland, sondern auf dem spanischen Kanal über Trauerfeier im Iran für die den von Israel getöteten Militärs und Atomwissenschaftlern.
Insgesamt steht der Vorwurf im Raum, dass die Deutsche Welle den Kampf gegen den Antisemitismus nicht konsequent verfolge. Er sei zu etwas Symbolischem geworden, sagen ehemalige Mitarbeiter des Asien-Referats. Zwar hat der Auslandssender Deutschlands nach entsprechenden Entgleisungen vor einigen Jahren intern ein Antisemitismus-Referat ins Leben gerufen. Die Beschwerden von Mitarbeitenden werden aber offenbar nicht ernstgenommen, vielmehr würden Beschwerdeführer von Führungskräften schikaniert. Dahinter stehe eine Rekrutierungspolitik der Deutschen Welle, durch die linksgerichtete und antiisraelische Mitarbeiter bei der Jobvergabe bevorzugt würden, heißt es.
Was die Deutsche Welle zur Kritik sagt
Eine Sprecherin der Deutschen Welle sagte dazu auf Anfrage der Evangelischen Zeitung, sie könne auf “Pauschalkritik ohne konkrete Fragen” nicht antworten. “Wir teilen diese Ansicht nicht und können die Gründe dafür nicht nachvollziehen, weil nicht bekannt ist, worauf sie sich genau bezieht. Gerne weise ich an dieser Stelle erneut darauf hin, welche Möglichkeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DW haben, ihre Bedenken zu äußern: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der DW haben vielseitige Möglichkeiten, ihre Bedenken, Sorgen und Kritik zu äußern, wenn sie einen Verstoß gegen die Werte der DW melden möchten. Dazu gehören unter anderem das Whistleblower-Tool der DW, die digitale Plattform SafeSpace (auch anonym möglich), die Antidiskriminierungsbeauftragte und die Compliance-Beauftragte.“ Die interne Veranstaltung „DW Minds“ sei ein Austauschformat, das allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offenstehe; hier seien rege Diskussionen ausdrücklich erwünscht. Die Erfahrung zeige, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieses Angebot gerne wahrnehmen, insbesondere, wenn kontrovers diskutiert werde. „Verstöße gegen die Werte der DW nehmen wir in jedem Fall sehr ernst.“
Ein weiterer Instagram-Post der Deutschen Welle zeigt ein kurzes Video der Aktivistin Greta Thunberg nach ihrer Zurückweisung durch die israelischen Behörden. Die DW postet dazu: „Greta Thunberg forderte in Paris, nachdem Israel sie am Tag nach der Beschlagnahmung der nach Gaza fahrenden ‚Madleen‘ abgeschoben hatte, die Freilassung anderer Aktivsten, die an Bord des Schiffes mit Hilfsgütern für Palästinenser festgehalten wurden.“ Mit keiner Silbe, so die Kritik der DW-Mitarbeitenden, werde erwähnt, dass sich an Bord des Schiffes mit Thiago Avila und Rima Hassan radikale Hisbollah- und Hamas-Unterstützer befanden.

Kritische Berichte über die Hamas, heißt in der Materialsammlung der DW-Mitarbeiter, seien sehr selten. Stattdessen werde der Staat Israel als Täter dargestellt. „Die Berichte konzentrieren sich häufig auf das Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung, insbesondere auf Bilder toter und verletzter Kinder in Gaza, während die Berichterstattung über durch Krieg und Geiselnahme traumatisierte israelische Kinder praktisch nicht vorhanden sei. Die Berichterstattung über das Leid israelischer Geiseln und ihrer Familien ist deutlich seltener und weniger dramatisch“, heißt es in der Kritik-Sammlung „Main Points of Critique of DW Reporting“.
Anstatt ein Fenster zur Bekämpfung des brutalen Anstiegs des Antisemitismus weltweit zu sein, verstärkt die Deutsche Welle nach Auffassung der kritischen Mitarbeiter heute die Narrative und die Propaganda von Akteuren wie der Hamas und der Islamischen Republik Iran. Anstatt neutral und ausgewogen über den Konflikt zu berichten, geschehe das zunehmend parteiisch und polarisierend.
Deutsche Welle: “Menschliche Schicksale im Fokus”
Eine Sprecherin der Deutschen Welle sagte auf Anfrage: „Soweit ein Vorwurf im Raum stehen soll, die DW würde Israel ‚dämonisieren‘, weisen wir diesen entschieden zurück, ebenso wie den Vorwurf der Einseitigkeit. Die DW berichtet faktenbasiert, umfassend und ausgewogen über die Ereignisse in Israel und den Palästinensischen Gebieten sowie den weiteren Nahostkonflikt. Neben hintergründigen Reportagen und Analysen bietet die DW ihren Nutzerinnen und Nutzern weltweit auch Informationen innerhalb kürzerer Formate, etwa in Social-Media-Videos. Dies zeigt auch unsere aktuelle Berichterstattung über den Israel-Iran-Krieg.“ Neben Analysen und Hintergründen rücke die DW immer wieder menschliche Schicksale in den Fokus – so auch in Reportagen und Berichten über israelische Geiseln im Gazastreifen.
Eine DW-Journalistin sagte unterdessen zu dieser Stellungnahme des Senders: „Gerade der Iran war ein eklatantes Beispiel dafür, wie einseitig DW berichtet.“ Es werde in einem Bericht sogar gefragt, warum Israel kein Recht auf Nuklearkraft habe, wo doch alle Welt wisse, dass Israel schon die Atombombe besitze.
Mitarbeitende stellen Forderungen an Deutsche Welle
Die kritischen Mitarbeitenden fordern nunmehr den Sender dazu auf, die Instagram-Kanäle der Deutschen Welle stärker zu moderieren und alle antisemitischen Kommentare auf den Social-Media-Kanälen zu löschen. Dringend notwendig sei es auch, die gesamte Berichterstattung neu zu überdenken. Außerdem erwarten sie, dass oppositionelle palästinensische Stimmen Gehör finden und dass Mitarbeiter, die für den von Qatar finanzierten Sender Al-Jazeera arbeiten, nicht gleichzeitig für die Deutsche Welle tätig sein dürften. Und schließen verlangen sie, dass die Antisemitismus-Beauftragte der DW diese Situation unparteiisch bewertet und Konsequenzen zieht. Die Berichterstattung auf allen Kanälen der Deutschen Welle müsse dem journalistischen Standard folgen, auch die verschiedenen israelischen Positionen zu berücksichtigen, so der Appell.
Die Deutsche Welle erreicht eigenen Angaben zufolge weltweit 320 Millionen Nutzer. Sie sendet in 32 Sprachen und hat 4000 Mitarbeitende in 18 internationalen Büros. Intendant ist seit 2013 Peter Limbourg, 65. Seine Nachfolgerin wird die bisherige Verwaltungsdirektorin Barbara Massing.
