Belgiens Bierkultur gehört zum Kulturerbe der Menschheit

Belgien und sein Bier; das ist eine lange Beziehung: Bei seinem Besuch im Königreich hat auch Papst Franziskus vier Flaschen geschenkt bekommen.

Bei unserem Nachbarn Belgien dreht sich alles ums Bier. Es hat in der Wallonie und Flandern Kultstatus. Zwar fehlt ihm das deutsche Reinheitssiegel – aber dafür bietet es eine Vielfalt von Aromen und Nuancen, von der der reine Einheitsbräu der Großkonzerne nur träumen kann.

So sind etwa säuerliche Lambic-Biere wie die “Gueuze”, die sich durch Spontan-Gärung in offener Lagerung auszeichnen, eine Spezialität Brüssels und des flämischen Pajottenlandes. Saisonbiere findet man vor allem in der Wallonie, dunkle “Oud Bruin”-Biere in Westflandern. In Abteien wie Chimay ist mit Bier gewaschener Käse entstanden. Auch gekocht wird mit Bier und viel Hingabe. Dass das alles so ist, liegt an einer besonderen Geschichte.

Belgiens lange Brau-Tradition beruht nicht nur auf dem Vorhandensein von Gerste, Hopfen und exzellentem Wasser; auch darauf, dass die Spanischen Niederlande angesichts der protestantischen Verfolgungen katholischer Orden in den Nachbarländern eine große Aufnahmetradition besaßen. Und Ordensleute – Benediktiner, Karmeliter, Trappisten – sind nun mal gute Brauer.

Davon sollte sich während seines Besuchs in der Hauptstadt Brüssel am Samstag auch Papst Franziskus überzeugen, als er die Gemeinde Saint Gilles zum Frühstück besuchte. “Es ist schön, den Tag mit Freunden zu beginnen”, sagte der Papst und lobte die Kreativität der Gemeinde beim Einsatz für obdachlose, geflüchtete oder andere benachteiligte Menschen. “Sie haben sogar ‘La Biche de Saint Gilles’ kreiert, und ich glaube, dass es ein sehr gutes Bier ist”, sagte Franziskus. Die Pfarrei hatte ihm vier Flaschen des selbst gebrauten Bio-Biers geschenkt, dessen Erlös für wohltätige Zwecke bestimmt ist.

Den Grundstein für die Bier-Tradition legte bereits der heilige Benedikt. In seiner Ordensregel aus dem Jahr 529, die im Abendland über Jahrhunderte vorherrschte, legte er fest, dass die Mönche alles, was sie zum Leben brauchen, selbst schaffen sollen. So spezialisierten sich in jedem Kloster einige Mönche auf das Brauen. Weil sie häufig auch lesen und schreiben konnten, konnten die Klöster die Bierherstellung stetig weiterentwickeln.

Mönchisch gebrautes Bier wurde wegen seiner beruhigenden Wirkung – der Hopfen! – von den Aachener Synoden zur Klosterreform 816/819 zum christlichen Heilgetränk verklärt. In Belgien wollte die sozialistische Regierung nach dem Ersten Weltkrieg per Gesetz gegen den verbreiteten Alkoholismus in der Arbeiterschaft vorgehen. Mit gewissem Erfolg – allerdings auch mit interessanten Nebenwirkungen. Denn findige Brauer machten aus der Not eine Tugend.

Es war eine der ärgsten Unsitten der Industrialisierung: Die Arbeiter erhielten am Monatsende ihre Lohntüte bar auf die Hand; sie ließen sich vor Ort mit dem Geld volllaufen, und ihre Familien mussten oft in Hunger und Elend bleiben. Besonders perfide war, wenn die Unternehmer auf dem Firmengelände eigene Kneipen aufmachten und die ausgezahlten Gehälter quasi binnen weniger Stunden wieder einsammelten.

Während in den USA 1919 ein totales Alkoholverbot (“Prohibition”) beschlossen und 1920 mit Quasi-Verfassungsrang verhängt wurde, war der Ansatz des belgischen Premierministers Emile Vandervelde (1866-1938) behutsamer. Im Kern besagte sein Gesetz, dass Alkohol über 18 Prozent nicht mehr im öffentlichen Raum ausgeschenkt werden durfte.

Belgiens Cafe- und Kneipendichte war erheblich: 1889 kam landesweit auf 40 Einwohner ein Bistro, inklusive der berüchtigten Firmenkneipen. Künftig war nur noch der (begrenzte) Verkauf von Spirituosen in Getränke- und Lebensmittelläden ohne Ausschank gestattet. Zusätzlich vermieste eine Vervierfachung der Steuer den Brennereien das Geschäft.

Doch Belgiens Brauwesen machte sich den Rückschlag beim Hochprozentigen mit einer guten Geschäftsidee zunutze. In England war 1880 die Malzsteuer durch Abgaben auf Höherprozentiges ersetzt worden; die Dominanz von Leichtbieren war dort die Folge. Belgiens Brauer dagegen, auch die Klöster, erhöhten angesichts größerer Nachfrage den Alkoholgehalt ihrer Produkte von 5 auf bis zu 13 Volumenprozent. Viele Klassiker der belgischen Bierkunst wurden damals entwickelt. Das Vandervelde-Gesetz war damit zwar kein Fehlschlag – aber es wurde doch zumindest ein wenig umgeleitet.

Belgiens Bierkultur wird im gesamten sonst so zerstrittenen Land gelebt. Überall gibt es Brauereien, Klöster, Museen, Seminare, Feste und Veranstaltungen, Restaurants und Kneipen, die zur Vielfalt der Bierlandschaft beitragen. Liebhaber rühmen die Frucht- und Karamell-Aromen der belgischen Starkbiere. Den vollen Geschmack entfalten sie laut Bier-Marketing nur im Originalglas und bei einer Temperatur zwischen 12 und 14 Grad.

Seit 2016 gehört Belgiens Bierkultur zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Wohlgemerkt: Nicht das Bier selbst – denn das ist sehr wohl materiell. Es geht um die belgische Liebe zum und das Leben mit dem Bier.