Beim Kochen verarbeiten die Witwer ihre Trauer

Es ist ein ganz besonderer Kurs: Beim „Kochen für Witwer“ fassen die Teilnehmer neuen Mut – bei Kohleintopf mit Bratwurstklößen.

Gemeinsames Kochen (v.l.): Arno Bergmann, Herwig Lämmel, Ulrich Wehr und Wolfgang Peters
Gemeinsames Kochen (v.l.): Arno Bergmann, Herwig Lämmel, Ulrich Wehr und Wolfgang PetersSteffi Niemann

Lübeck. Zwei Mal im Jahr, im Herbst und im Frühling, treffen sich die Männer im Alter von 67 bis 77 Jahren immer mittwochs, sechs Mal in Folge. Die Idee dazu kam Ulrich Wehr quasi im Schlaf. „Ich wachte eines Morgens auf und wusste, das probiere ich mal aus“, sagt der 68-Jährige, der zugleich als Trauer- und Sterbebegleiter bei der Vorwerker Diakonie arbeitet und dort viel Kontakt mit verwitweten Frauen und Männern hat.
„Besonders bei Männern ist zu beobachten, dass sie nach dem Tod ihrer Frau kaum etwas für sich selbst kochen. Sie haben es nicht gelernt.“ Hier möchte der Hobbykoch helfen und zeigt interessierten Witwern, wie lecker und einfach gekocht werden kann. Als Begrüßungsgeschenk bekommt jeder einen Rezepteordner und eine Kühlbox zum Mitnehmen für Zuhause – falls beim Kochkurs etwas übrig bleibt.

Eintopf zum Einstand

Unterstützung erhält Wehr von seinem Nachbarn und Freund Max Steinbauer, 53 Jahre alt und ebenfalls passionierter Koch. Eine passende Küche fanden sie im Nachbarschaftstreff des Lübecker Bauvereins in St. Jürgen. Am ersten Abend der „neuen Runde“ gibt es meist Eintopf – dieses Mal einen Kohleintopf mit Bratwurstklößchen. „Dafür haben wir ein Rezept von Fernsehkoch Rainer Sass etwas umgemodelt“, so Ulrich Wehr.
Arno Bergmann, Wolfgang Peters und Herwig Lämmel schnippeln dafür eifrig die Zutaten: Zwiebeln, Mohrrüben und natürlich Kohl. Wehr und Steinbauer haben das Brät vorbereitet und formen es zu Klößchen. Unter ihrer Anleitung braten die Witwer das Gemüse an, füllen es mit Brühe auf und geben Gewürze dazu. Dann muss das Gericht köcheln. Jetzt ist Zeit für Gespräche: Wie war dein Sommer, was hast du erlebt? Die Männer tauschen sich aus wie alte Freunde.
„Die Gesellschaft der anderen ist schön“, sagt Wolfgang Peters. Der 68-Jährige ist seit vier Jahren Witwer und erfuhr über einen Aushang von der Kochgruppe. „Ich wohne um die Ecke und bin von Anfang an dabei. Es geht darum rauszukommen, etwas Schönes zu tun. Mit meiner Frau habe ich oft zusammen gekocht. Jetzt, wo ich alleine bin, ist das eher selten der Fall. Zu zweit macht es einfach mehr Spaß.“ Etwas später eingestiegen ist Arno Bergmann, ein 77-jähriger Weltenbummler: „Meine Frau hatte eine lange Leidensgeschichte und ist im Krankenhaus gestorben. Der Krankenhausseelsorger dort empfahl mir diese Gruppe. Mir gefällt die Offenheit und das Zwanglose.“

50 gemeinsame Jahre – ein großes Geschenk

Bergmann ist zusammen mit seiner Frau viel gereist – heute tut er das allein. „Ich liebe es, auf dem Wasser zu sein.“ Nach dem Tod seiner Frau war der frühere Sicherheitsingenieur vergleichsweise schnell wieder gefestigt: „Da es klar war, dass sie sterben wird, haben wir viel über alles gesprochen. Auch wie es für mich weitergeht. Wir hatten 50 wunderbare Jahre – das ist ein Riesengeschenk.“
Die Lebensfreude, die in der Gruppe herrscht, genießt auch Herwig Lämmel. Der Bankkaufmann im Ruhestand ist seit zweieinhalb Jahren Witwer und fand vor einem Jahr zu der Gruppe. „Meine Frau wurde palliativmedizinisch betreut. Ich habe noch Kontakt zu einem Ehrenamtlichen vom Palliativnetz Travebogen. Er hat mir die Gruppe empfohlen – und obwohl ich kein Freund des Kochens bin, gefällt es mir hier“, lacht der 67-Jährige. Auch seine Frau starb an Krebs. Gekocht habe immer sie, „ich war der Handlanger und habe geschnippelt“, sagt Lämmel. „Meine Frau wurde zu Hause betreut, was ich sehr gut fand, da ich so all die Zeit bei ihr sein konnte. Nachdem weitere Krebsarten dazukamen, war irgendwann klar, dass keine Chemo oder andere Maßnahmen mehr etwas ausrichten können. Natürlich haben auch wir über den Tod gesprochen“, sagt Lämmel. Die Erinnerung an diese Zeit stimmt ihn nachdenklich.
Die anderen Männer rumoren in der Küche, dann ist die Suppe fertig. Wolfgang Peters trägt den Topf zum gedeckten Tisch. „Essen fassen!“ Kurze Zeit später ist es still. Alle genießen das Essen. Max Steinbauer hat noch ein Dessert vorbereitet, das er vor Ort vollendet: Crème brûlée. Lecker.
Kontakt
Mehr Infos zum „Kochen für Witwer“ gibt Ulrich Wehr per E-Mail an u.wehr@mas-it.de oder unter Telefon 0451 / 568 56 (Anrufbeantworter).