Eine Quizsendung hat sie schon beraten und oft sprachliche Rätsel gelöst: Yvonne Goldammer hilft telefonisch, wo es mit Rechtschreibung und Grammatik hapert. Und manchmal sogar bei mysteriösen Münzinschriften.
“Da werden Sie geholfen”: So bewarb Verona Pooth, damals Feldbusch, ab Ende der 1990er Jahre die telefonische Auskunft der Telekom. Derartige sprachliche Patzer fallen wohl jedem schnell auf. Doch Yvonne Goldammer findet noch ganz andere. Auch sie betreibt eine Auskunft, könnte man sagen: Wo andere an Grammatik und Zeichensetzung verzweifeln, hilft sie aus der Ferne weiter. Ihr wichtigstes Arbeitsutensil: ihr schwarzes Festnetztelefon. Daneben stapeln sich Nachschlagewerke. “Fast alle vom Duden-Verlag”, sagt Goldammer; für diesen hat sie bis Ende 2024 gearbeitet. Denn manch eine Grammatik- oder Rechtschreibfrage muss sogar sie nachschlagen.
Der erste Anrufer an einem sommerlichen Vormittag ist ein Herr, der eine E-Mail formulieren will. “‘Herzliche Grüße wünsche ich Ihnen’ – kann man das so sagen?”, möchte er wissen. “Man wünscht eher keine Grüße”, weiß Goldammer. “‘Sendet Ihnen’, könnte man sagen.”
Von einigen Ausnahmen abgesehen, rufen Privatleute aber eher selten bei ihr in Ebern (Unterfranken) an. Meistens sind es Menschen, die mit Texten arbeiten – etwa Lektoren oder Lehrer. Die meisten kennen sie noch aus ihrer Zeit beim Duden-Verlag, denn hier hat Goldammer fast 20 Jahre lang für die telefonische Sprachberatung gearbeitet. Seitdem es die aus Kosten- und Ressourcengründen nicht mehr gibt, betreibt sie eben ihre eigene Hotline.
Aber warum rufen die Leute überhaupt an, statt im Internet zu recherchieren? Auch dort gibt es schließlich umfassende Nachschlagewerke für Rechtschreibung, Grammatik und Zeichensetzung – nicht zu vergessen die Künstliche Intelligenz (KI). Nach Erfahrung der Germanistin suchen die Anrufer vor allem den persönlichen Kontakt. Manche wünschten sich auch einfach jemanden, der klar sagt, was richtig ist und was nicht – ohne verschiedene Möglichkeiten anzugeben. Simple Dinge wie die Rechtschreibung bestimmter Wörter würden ohnehin kaum noch erfragt. Dafür kann sie manchmal in Fällen helfen, die mit einer Online-Recherche nicht so bald erledigt wären.
So wollte eine Anruferin wissen, was “Eypo” bedeute. “Da musste ich dann erstmal nach dem Kontext fragen”, sagt Goldammer. Des Rätsels Lösung: “Sie hatte es auf einer Euro-Münze gelesen” – und schlicht nicht gewusst, dass es sich um griechische Buchstaben handelte, die das Wort “Euro” bilden. “Aber meistens geht es tatsächlich um Kommasetzung”, verrät Goldammer. Zusammen oder getrennt, groß oder klein – auch solche Fragen zur Schreibweise würden oft gestellt. Bei Streitfällen oder Bezügen innerhalb eines Textes könne sie besser helfen als Internet oder KI.
In ihrer Zeit beim Duden-Verlag habe sogar ab und an die Redaktion von “Wer wird Millionär?” angerufen, erzählt Goldammer. Derartige “Laufkundschaft”, die nicht regelmäßig anruft, vermisst sie ein wenig, seit sie sich selbstständig gemacht hat. “Zum Beispiel auch die Eltern von Grundschulkindern, die sich fragen, ob etwas fälschlicherweise angestrichen wurde.” In den meisten Fällen lägen die Eltern richtig und die Lehrkräfte falsch, berichtet sie schmunzelnd.
Die nächste Anruferin ist eine Lektorin, die ein medizinisches Buch korrigiert. Um Kommasetzung, Wortendungen und Bindestriche geht es, außerdem um eine Formulierung, die etwas zu wörtlich aus dem Englischen übernommen wurde und auf Deutsch seltsam klingt. Erst nach knapp 13 Minuten sind vorerst alle Fragen beantwortet. Für Yvonne Goldammer ein lukrativer Anruf, denn für jede halbe Minute berechnet sie den Anrufern 70 Cent. Ab und zu beantwortet sie auch Fragen per Mail, aber in den meisten Fällen lässt sich alles per Telefon klären.
Und noch etwas anderes freut sie: “Man schnuppert in so viele Themenbereiche rein.” Mal geht es um Medizin, mal um die Freimaurer, mal um den Bau von Abflussrohren. Die Inhalte der Texte findet sie meist auch spannender als einzelne Wörter: “Eine Ausnahme wäre vielleicht ‘pfriemeln’, das ich privat oft und gern für alles Mögliche verwende.”
Trotz allem will Yvonne Goldammer aber eines nicht: dogmatisch sein, gewissermaßen anderen das Nachschlagewerk um die Ohren hauen. Im Studium habe sie noch gedacht, es gebe immer nur eine Antwort: richtig oder falsch. “Aber je länger man sich mit Sprache beschäftigt, auch mit der Frage, wie sich Dinge entwickelt haben, desto großzügiger wird man”, sagt sie heute. Zum Beispiel bei regionalen Eigenheiten – ob man etwa “Ich bin gesessen” oder “Ich habe gesessen” sage.
Zum Gendern hat Goldammer eine klare Meinung: Von Verboten hält sie genauso wenig wie von Geboten. Entscheidend ist für sie Verständlichkeit. Auch aus diesem Grund entwickle sich Sprache ständig weiter.
Ihr Wissen wendet die Expertin nicht nur bei ihrer Hotline an, sondern auch als Lektorin und Korrektorin, für Doktorarbeiten, Bücher oder eine Zeitschrift. Hier merkt sie schon Einbußen durch KI – oft werde diese herangezogen, um Rechtschreib- und Grammatikfehler zu finden. Auch die Zukunft ihrer Hotline ist ungewiss; schließlich sind einige ihrer treuesten Anrufer in der Nähe der Rente. Die jüngere Generation greife bei solchen Fragen eher nicht mehr zum Telefonhörer, sagt sie. Deswegen versucht sie, neue Zielgruppen zu erschließen und ihre Werbung auszubauen.
Ans Aufhören denkt Goldammer noch lange nicht – sich mit Mitte 50 neu zu orientieren, sei nicht leicht. “Einfach mal schauen, wie es jetzt läuft”, ist ihr Credo. Das schwarze Festnetztelefon und die Nachschlagewerke liegen jedenfalls bereit.