Barrierefreiheit: Lego-Rampen sind Hingucker, keine Lösung

Für viele Rollstuhlfahrer endet der Einkauf in kleinen Läden, bevor er überhaupt losgeht. Ganz einfach, weil die Schwelle zu hoch ist. Eine Hamburger Stadtteil-Initiative ändert das.

Aus bunten Lego-Steinen baut Kendra Eckhorst Rampen für Rollstuhlfahrer
Aus bunten Lego-Steinen baut Kendra Eckhorst Rampen für Rollstuhlfahrerepdbild / Evelyn Sander

Kendra Eckhorst hat die Steine nicht gezählt. „Es waren sehr viele“, sagt die Soziologin lachend und streicht über die fertige Rampe aus bunten Legosteinen. Für die Hamburger Initiative „Horn – einfach für alle“ hat sie mit Erwachsenen und Kindern aus Tausenden bunten Steinen Rampen gebaut. Sie sollen Menschen mit Rollator und Rollstuhl den Zugang zu Geschäften erleichtern. Mitte März wurden die ersten Rampen an das Blumengeschäft Grieser übergeben, die nächsten beiden sollen am 24. April an den Friseursalon „Frau Schmidt“ gehen, in dem es auch Kulturprogramm gibt.

Die bis zu zehn Zentimeter hohen Rampen sind an mehreren Tagen gemeinsam gebastelt und geklebt worden. „Da mussten wir schon ganz schön tüfteln“, sagt Alex Wilke, Koordinator des Stadtteilhauses Horner Freiheit. Es habe länger gedauert als gedacht. Rampenbauer nach dem Vorbild der „Lego-Oma“ Rita Ebel aus Hanau in Hessen gibt es in einigen deutschen Städten und auch in St. Petersburg, Frankreich und den USA. „Sie sind ein Hingucker und schaffen auch das Bewusstsein für die Alltagsprobleme von Menschen mit Einschränkungen“, sagt die Soziologin Eckhorst.

Hohe Stufen, schlechte Beschilderung

Doch eine echte Lösung sind die bunten Hingucker für Eckhorst nicht. „Das Thema Inklusion braucht viel mehr Aufmerksamkeit“, sagt die Leiterin des Büros für barrierefreie Kommunikation vom Rauhen Haus. Die 47-Jährige möchte mit den Menschen im Stadtteil ins Gespräch kommen, Hürden aufzeigen und auf Schwierigkeiten aufmerksam machen. „Inklusion betrifft nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern auch Menschen, die sehbehindert sind oder die Sprache schlecht verstehen.“ Es gehe um hohe Stufen, schlechte Beschilderung, Werbeaufsteller auf dem Gehweg oder graue Straßenpoller, die leicht zu übersehen sind, und unübersichtliche Baustellen.

Die Senatskoordinatorin für die Gleichstellung behinderter Menschen in Hamburg, Ulrike Kloiber, sagt, sie begrüße es sehr, „wenn sich Menschen für Barrierefreiheit engagieren und nach kreativen Lösungsmöglichkeiten suchen“. Die Aktion sollte zum Anstoß genommen werden, um Einrichtungen wie Stadtteilzentren, Bürgerhäuser und den Einzelhandel für Barrierefreiheit zu sensibilisieren. „Was wir aber brauchen, sind dauerhafte Lösungen, die Menschen mit Behinderungen eine selbst bestimmte Teilhabe ermöglichen – nicht aufgrund des Wohlwollens unserer Gesellschaft, sondern weil es das Recht der Betroffenen ist“, sagt Kloiber.

Das Thema Barrierefreiheit sei durch gesetzliche Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention und nicht zuletzt durch sich verändernde Ansprüche einer zunehmend älter werdenden Gesellschaft deutlich in das Bewusstsein der öffentlichen Verwaltung gerückt, betont Kloiber. Behörden befassten sich fachübergreifend mit Fragen der barrierefreien Mobilität im Verkehr, im öffentlichen Raum und im Hochbau.

Krauthausens Kritik

Dagegen kritisiert Raúl Krauthausen, Berliner Aktivist für die Rechte behinderter Menschen, in seinem Blog, dass jeder Tag „voller Barrieren“ ist. „Dass wir nur über Barrieren aufklären brauchen, damit sich die Lage bessert, glaube ich nicht mehr. Es muss darum gehen, die Barrierefreiheit als Grundrecht einzufordern, statt ehrenamtlich mit Lego zu basteln!“, fordert Krauthausen. Barrierefreiheit sollte nicht besonders sein, kein Geschenk oder eine Legostein-Spende. Sie sei eine „schlichte Notwendigkeit“.