„Inklusion und Ökumene sind Geschwister“, sagt Gilbert Krüger. Für den Inklusionsbeauftragten im Kirchenkreis Herne ist es selbstverständlich, dass auch der zweite Inklusive Gottesdienst in Herne ökumenisch gefeiert wird. Am 2. April ist es soweit. Dann treffen sich Menschen mit und ohne Behinderung in der Kreuzkirche zum Gottesdienst mit dem Thema „Miteinander teilen – einander vertrauen“.
Kein Zugang zur Kirche mit dem Rollstuhl
Die Idee zu diesem Gottesdienst stammt von Krüger. Er ist seit seiner Geburt körperbehindert – infolge einer Sauerstoffunterversorgung – und auf einen Rollstuhl angewiesen. Seit seiner Konfirmandenzeit kämpft er für Barrierefreiheit in der Kirche. „Barrierefreiheit fängt bei Gebäuden an, schwerwiegender ist jedoch die fehlende Barrierefreiheit in den Köpfen“, sagt der 29-Jährige. „Als Konfirmand sollte ich sonntags in den Gottesdienst gehen, kam aber gar nicht in die Kirche.“ Und als sein Gemeindepfarrer ihm gesagt habe, er solle einfach mit seinem Therapiefahrrad reinfahren, hätten sich Gottesdienstbesucher darüber beschwert. „Ich wünsche mir in der Kirche eine andere Willkommenskultur und auch mehr Verständnis, wenn Menschen mit Behinderungen kommen.“
Aber Krüger geht noch weiter: „Wenn Kirche Kirche sein möchte, dann muss sie allen Glaubenden Zugang und – im Sinne des Priestertums aller Glaubenden – Beteiligung ermöglichen.“ Aus dieser Erkenntnis entwickelte er die Idee des Inklusiven Gottesdienstes, fand mit dem Gehörlosenseelsorger Martin Ruhmann vom Diakonischen Werk Herne und dem Gemeindereferenten Joseph Becker, der ein Behindertencafé in der Katholischen Gemeinde St. Josef leitet, sofort Mitstreiter.
Krüger selbst schrieb sämtliche Träger der Behindertenhilfe auf dem Gebiet des Kirchenkreises Herne an, um für Beteiligung zu werben. Die Lebenshilfe Herne und die Diakonische Stiftung Wittekindshof sagten ihre Mitwirkung zu.
In den Wochen vor dem anstehenden Gottesdienst sind nun wieder Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung mit der Vorbereitung beschäftigt. Dabei kümmert sich eine Gruppe um die Evangeliumslesung, eine um die Liedauswahl und eine dritte um die Gestaltung der Gebete. Überall geht es darum, auditive, visuelle und haptische Elemente zu nutzen, um allen einen Zugang zu den Inhalten zu ermöglichen.
So hat die „Evangeliumsgruppe“ mit Unterstützung von Heilpädagogin Johanna Geiger die Geschichte von der Speisung der 5000 als Fotostory gestaltet. Bei der Kirchenmusik ging es darum, bekannte Lieder auszusuchen, die von allen gesungen werden können. Gebete werden nicht nur gesprochen, sondern ihre Bitten bildlich dargestellt.
Nicht Fürsorge, sondern Selbstbestimmung
„Es ist schön zu erleben, mit wie viel Begeisterung Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam etwas Großes auf die Beine stellen“, sagt Pfarrerin Katja Lueg von der Kreuzkirchengemeinde, die die liturgische Verantwortung hat. So wird in der Vorbereitung des Inklusionsgottesdienstes der Paradigmenwechsel in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung deutlich. „Heute geht es nicht mehr wie früher um Fürsorge für, sondern um Selbstbestimmung und volle Teilhabe von Menschen mit Behinderung“, so Krüger.
Im Gottesdienst dabei ist auch die Herner Gehörlosengemeinde. Sie wird als Gebärdenchor ein Stück in Gebärdensprache vortragen. Ihr Seelsorger, Diakon Martin Ruhmann, wird den Gottesdienst synchron übersetzen. „Wir werden am 2. April ein Inklusionsfeuerwerk abbrennen“, verspricht Gilbert Krüger.
Dazu gehöre auch, dass die Gottesdienstbesucher neben dem Sehen und dem Hören etwas zum Anfassen bekommen werden. Was es in diesem Jahr sein wird, soll noch nicht verraten werden.
Im ersten Inklusionsgottesdienst im vergangenen Jahr unter dem Titel „Lebensstürme“ erhielten alle Gottesdienstbesucher ein gefaltetes Papierschiffchen. Um zu symbolisieren, dass unser Schiff auf der Reise durchs Leben auch Schaden nimmt, sollten die Gottesdienstbesucher Bug, Heck und Mast abreißen. Klappte man das beschädigte Schiff auf, erhielt man ein Gebilde, das an ein Taufkleid erinnerte. Die Verbundenheit mit Gott durch die Taufe war so im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen. Nach dem Auseinanderfalten des Taufkleides hielten die Gottesdienstbesucher ein Kreuz in Händen. „Auch im Sterben ist Gott bei uns, er hat selbst gelitten und den Tod überwunden“, war die Botschaft, die gerade für Menschen mit Behinderung sehr wichtig sei.
„Sie sind häufiger mit dem Tod konfrontiert, weil es nicht selten vorkommt, dass junge Menschen infolge ihrer Behinderung sterben“, sagt Gilbert Krüger. „Somit ist auch die Theodizeefrage, die Frage nach dem gnädigen Gott angesichts von Leid, häufig Thema, ohne dass sie in Worte gefasst werden kann.“ Hier gehe es darum, eine Form zu entwickeln, die auch für Menschen mit geistiger Behinderung verständlich ist. „Es muss dann Beerdigungen in leichter Sprache geben“, fordert der Herner Integrationsbeauftragte. Auch eine Bibel in leichter Sprache ist etwas, das er sich wünscht. „Damit auch hier Barrieren fallen und Menschen mit Behinderung einen leichteren Zugang zum Wort Gottes finden können.“
• Der diesjährige Inklusive Gottesdienst in Herne findet am 2. April um 9.30 Uhr in der Kreuzkirche statt.
