Bäume gegen die Trauer

Mehr als 60 „Himmelsbäume“ für verstorbene Kinder stehen auf der Lichtung im Wäldchen in Wyk auf Föhr. Seit 2015 lädt der Verein „Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister“ zur Pflanzaktion ein.

Im Rücken der Kirschbaum, mit dem 2015 die Pflanzung der „Himmelsbäume“ begann: Rita Becker, Kybele Engel und Christina Rullmann vom Verein Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister.
Im Rücken der Kirschbaum, mit dem 2015 die Pflanzung der „Himmelsbäume“ begann: Rita Becker, Kybele Engel und Christina Rullmann vom Verein Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister.Catharina Volkert

Wyk auf Föhr. Die Fähre aus Dagebüll nähert sich langsam der Nordseeinsel Föhr. Am Anleger in Wyk wartet bereits Kybele Engel vom Verein Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister Schleswig-Holstein (VESH). Zwei Paare sind schon bei ihr, in einer großen Plastiktüte steht ein junger Kastanienbaum vor ihren Füßen. „Dahinten, da sehe ich noch einen Baum“, ruft Kybele Engel und winkt der Gruppe zu, die nun die Fähre verlässt. Rita Becker und Christiane Rullmann, ebenfalls vom Verein und aus Kiel, sind unter den Ankommenden.

Etwa 60 Personen sammeln sich um Kybele Engel: Frauen, Männer, Kinder – alle Generationen. Sie alle verbindet eine Lücke. Sie haben ein Kind, ein Enkelkind, ein Geschwisterkind verloren. Einige haben in den Vorjahren bereits einen Baum gepflanzt, eine Birke vielleicht oder einen Kirschbaum. Sie kommen nun auf Einladung des Vereins zurück. Zwölf Bäume sollen heute gepflanzt werden. Vier Familien reisen mit Baum an, die anderen bekommen ihn von der örtlichen Gärtnerei. Die Bäume, sie sollen an die verstorbenen Kinder der Familien erinnern.

Seit 2015 gibt es das Projekt „Himmelbäume“

Auf Friesisch heißt es „Hemelsbuumer“. „2013 hat der Sturm ‚Christian‘ eine Schneise auf der Insel hinterlassen.“ Die Trauergruppe von Föhr sei daraufhin an die Ortsverwaltung herangetreten und habe um eine Fläche zum Aufforsten gebeten. Ein langer Zug aus Menschen, Bäumen und Bollerwagen macht sich auf den Weg. Durch die Fußgängerzone, am Südstrand vorbei, am Leuchtturm und schließlich durch die Siedlungen. „Woher kommst du?“, dringen Gesprächsfetzen durch die Gruppe. Bäume werden begutachtet. Andere schweigen, verstecken ihre Gesichter hinter Sonnenbrillen. „Himmelsgärtner“, nennt Kybele Engel sie alle.

Ein Kind, ein Baum

„Der Name Himmelsbäume steht für die Verbindung von Himmel und Erde durch die Bäume“, erklärt Rita Becker. „Sie sind hier verwurzelt und wachsen, entwickeln sich.“ Ein Kind, ein Baum. Ein Leben, in dem nichts mehr ist, wie es war. Entwurzelt wie der Wald damals, so fühle man sich dann, meint Rita Becker. Wer pflanzt, hat sich bereits auf den Weg gemacht. An diesem letzten Sonnabend nach dem Welttag des Baumes ganz konkret – ob aus Norddeutschland oder aus Nordrhein-Westfalen. Einige haben im Urlaub von diesem besonderen Ort auf Föhr gehört, durch den Flyer auf der Fähre beispielsweise. Oder sie haben in ihrer Trauergruppe von den Bäumen erfahren.

Der einstündige Fußmarsch endet auf der Lichtung im Wäldchen unweit der Löwenhöhle. Ein Gärtner erwartet die Gruppe, die Löcher für die Bäume hat er bereits ausgehoben. Erst wird eine Andacht gefeiert – gesungen, gelauscht, erinnert und geschwiegen –, dann gepflanzt. Ein Dalben, auf dem Schmetterlinge zu tanzen scheinen, hat der Flensburger Bildhauer Werner Oettinger für diesen Ort geschnitzt. Aufgestellt ist er hier seit 2015, umgeben von Bänken und einem Schild, das den Passanten die „Himmelsbäume“ erklärt. Blühende Flieder, Kirschen und Birken wachsen auf der lichten Wiese, zu denen an diesem Tag neue hinzukommen. In ihren Zweigen hängt jeweils ein Schmetterling aus Holz, der einen Namen trägt. Den Namen eines Kindes.