Autorin Applebaum: Westen unterschätzt Autokratien
Ein Autokraten-Netzwerk, das nach der Weltmacht greift – Autorin Anne Applebaum warnt vor finsteren Zeiten. Aber noch könne dagegen vorgegangen werden, sagte die künftige Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels.
Der Einfluss und Machtwille von autokratischen Regimen wird aus Sicht der Autorin Anne Applebaum im Westen weiterhin unterschätzt. Zwischen Russland, China und Iran sei ein “echtes Netzwerk autokratischer Staaten” entstanden, das versuche, seine Macht auszubauen “und unsere zu unterminieren”, sagte die US-Historikerin im Interview der “Süddeutschen Zeitung” (Freitag). “Auf der ganzen Welt versuchen Autokratien, die Spielregeln von Diplomatie, Handel und Krieg in ihrem Sinne zu ändern.”
Gleichzeitig werde diese Bedrohung im Westen nicht so wahrgenommen, kritisierte die Autorin. Das führe sie darauf zurück, dass es für die Menschen verführerischer sei, “selbstgefällig zu sein und nicht so genau hinzuschauen, was auf der Welt gerade so passiert”. Zudem sei der Westen immer noch nicht daran gewöhnt, dass seine liberalen Werte herausgefordert werden. “Die zentrale Aufgabe der Zukunft für alle liberale Demokratien ist zu lernen, damit umzugehen, herausgefordert zu werden. Wir müssen lernen, uns zu wehren”, betonte Applebaum. Die 60-Jährige erhält am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem renommierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Trotz allem sei sie überzeugt, dass liberale westliche Demokratien den Autokratien der Welt noch überlegen sind – sofern sie zusammenhalten, sagte Applebaum. “Es stimmt nicht, dass wir nichts tun können. Und dieses Gerede davon, dass der Westen zu schwach sei, die Autokratien in Schach zu halten – das ist auch ein wesentlicher Teil der russischen Propaganda.”
Zudem seien die Demokratien aus ihrer Sicht stabilere politische Systeme, so Applebaum. Wenn etwa Russlands Präsident Wladimir Putin “morgen von einem Auto überfahren wird”, sei seine Nachfolge ungewiss. Es entstehe ein Machtvakuum und daraus eine Krise, erklärte die Historikerin. “In Demokratien ist das völlig anders. Da gibt es einen institutionalisierten Ablauf des Machtwechsels, innerhalb dessen immer transparent ist, warum, wann und wie die eine Regierung abtritt und eine neue die Geschäfte übernimmt. Die Stabilität, die dadurch erreicht wird, ist eine kaum zu überschätzende Errungenschaft.”
Gleichzeitig mahnte sie eine stärkere Bekämpfung von Korruption sowie eine Regulierung des Internets auch in Demokratien an. Große Onlineplattformen müssten etwa für das verantwortlich gemacht werden können, was auf ihnen geteilt wird. “Dass weder die Geldwäsche unterbunden wird, noch die Plattformen kontrolliert werden, schadet dem demokratischen Diskurs und den demokratischen Systemen extrem”, betonte Applebaum.