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Autor: Eigene Endlichkeit im Blick behalten – und friedlicher leben

Manchmal kämpft man um Kleinigkeiten, als ginge es um alles. Dabei sind diese Konflikte laut einem Experten meist unnötig – und sie lassen sich mit einem einfachen Perspektivwechsel vermeiden.

Aus Prinzip mit der Chefin zanken oder den Partner ständig zurechtweisen: Damit tun Menschen sich selbst keinen Gefallen. “Weil wir unsere eigene Vergänglichkeit verdrängen, sind wir überhaupt in der Lage, Konflikte zu eskalieren, andere zu verfolgen oder gar Kriege zu führen, so als ginge es im Kern darum zu gewinnen”, sagte der Bildungsforscher Rolf Arnold im Interview der Zeitschrift “Psychologie Heute” (September-Ausgabe). Er rät stattdessen zu einem “abschiedlichen Lebensmodus” und erklärt: “Wer im Bewusstsein der Abschiedlichkeit lebt, führt keine Kämpfe mehr, um Recht zu bekommen.”

Auf diese Weise könne Neues entstehen, statt immer wieder alte, eingefahrene Muster zu wiederholen, so der Wissenschaftler. Dies gelte für alltägliche Beziehungen ebenso wie für das Ringen um Frieden. “Wenn wir die banalen Mechanismen und Muster unseres Beobachtens und Beurteilens durchschaut haben, dann können wir erschrocken feststellen, dass wir Verursachungen ebenso falsch zuschreiben, wie Vorwürfe unpassend adressieren.”

Es erfordere Übung, sich bewusst von Bildern und Vorstellungen zu lösen, die das Gegenüber wachrufe. Arnold verwies in diesem Zusammenhang auf den Talmud: In dieser zentralen jüdischen Schrift heißt es, die Menschen sähen die Welt nicht so, wie sie ist, sondern so, wie sie selbst seien. Wer dies auf Begegnungen mit anderen Menschen beziehe, frage sich nicht länger: “Was ist eine lernbeeinträchtigte Schülerin, ein beziehungsgestörter Partner oder ein narzisstischer Chef? Sondern: Wie konstruiere ich mir eine solche Person und warum?”

Die Verdrängung der menschlichen Vergänglichkeit sei inzwischen “perfektioniert” worden, sagte Arnold, dessen Buch “Keine Zeit für grüne Bananen: Die aufklärende Kraft der Vergänglichkeit” im Frühjahr erschienen ist. Zugleich überzeugten die “alten Aufbruchs-, Durchhalte- und Fortschrittsparolen” viele Menschen nicht mehr. “Wir beginnen, uns vor der Durchschaubarkeit und Fragilität unserer sogenannten Erfolge zu ekeln. Deshalb ist die Umkehr, die Erzeugung und Stärkung neuer Leitbilder eine persönliche und eine gesellschaftliche Aufgabe.”