Ausstellung setzt sich mit “Judenretter” Calmeyer auseinander
Die neue „Villa_“ im Museumsquartier Osnabrück setzt sich im Rahmen einer neu konzipierten Dauerausstellung kritisch mit dem als „Judenretter“ bekannt gewordenen Rechtsanwalt Hans Calmeyer (1903-1972) auseinander. Zugleich verstehe sich das Haus mit dem Untertitel „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ als Lernort für Demokratie, sagte der Erste Stadtrat Wolfgang Beckermann am Mittwoch. Das Leben und Wirken des in Osnabrück geborenen Juristen diene als Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit aktuellen Themen wie Diskriminierung, Flucht oder Zivilcourage.
Die dreisprachige interaktive Ausstellung gehe der Ambivalenz Calmeyers nach, erläuterte Beckermann. Er habe als leitender Mitarbeiter der deutschen Besatzungsbehörde in Den Haag ab 1941 rund 3.000 Juden gerettet, sich zugleich jedoch am NS-Terror schuldig gemacht. Deshalb habe die Stadt letztlich auf Anraten des eigens eingesetzten wissenschaftlichen Beirates davon abgesehen, dem Ausstellungsgebäude den Namen Calmeyer-Haus zu geben.
Die im Jahr 1900 errichtete Industriellenvilla blicke als einstiger Sitz der Osnabrücker NSDAP selbst auf eine Geschichte als Täterort zurück, sagte Beckermann. Deshalb werde die Ausstellung mit einem umfangreichen Begleitprogramm, besonders für Jugendliche, dem Neonationalsozialismus und der Desinformation entgegentreten. Das Gebäude wurde den Angaben zufolge mit Unterstützung durch den Bund in Höhe von 1,7 Millionen Euro saniert.
Die Ausstellung bietet zahlreiche Anlässe für Interaktionen sowie aktuelle und kritische Debatten. Schon im Foyer empfängt die Besucher eine Wand, auf der die Frage prangt: „Welcher Demokratietyp bist du?“ In den Ausstellungsräumen befinden sich smarte Stationen, die mithilfe von Touch-Armbändern aktiviert werden können. Besucher werden aufgefordert, in verschiedene Rolle zu schlüpfen. So finden sie sich etwa als Mitarbeitende einer Ausländerbehörde wieder.
Interaktive Stationen machen anschaulich, wie Geburtsurkunden gefälscht und Juden auf die sogenannte Calmeyer-Liste gesetzt wurden. Hinter Klappen und Türen verbergen sich Biografien von NS-Opfern wie Peter van Pels, aber das mit Hakenkreuzen verzierte Original-Liederbuch eines Hitlerjungen, in das dieser einst notierte: „Führer wir gehören dir, wir Kameraden wir.“
Unter dem Titel „Volksgemeinschaft“ erzählen Filme, Möbel und Bilder der damaligen Zeit von Enteignung und Ausgrenzung. Ein Teewagen der Familie Nussbaum stellt die Verbindung zum Felix-Nussbaum-Haus her, das ebenfalls zum Osnabrücker Museumsquartier gehört. Der 1904 in Osnabrück geborene Maler wurde 1944 in Auschwitz ermordet.
Die „Villa_“ wird am Sonntag feierlich eröffnet. Festredner sind der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, und der Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung, Thomas Lindenberger.