Ausgerechnet die …?

Andacht über den Predigttext zum 15. Sonntag nach Trinitatis: Galater 5, 25 – 6, 10

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Predigttext
25 Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln. 26 Lasst uns nicht nach eitler Ehre trachten, einander nicht herausfordern und beneiden. (6) 1 Brüder und Schwestern, wenn ein Mensch etwa von einer Verfehlung ereilt wird, so helft ihm wieder zurecht mit sanftmütigem Geist, ihr, die ihr geistlich seid. Und sieh auf dich selbst, dass du nicht auch versucht werdest. 2 Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen. 3 Denn wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. 4 Ein jeder aber prüfe sein eigenes Werk; und dann wird er seinen Ruhm bei sich selbst haben und nicht gegenüber einem andern. 5 Denn ein jeder wird seine eigene Last tragen. 6 Wer aber unterrichtet wird im Wort, der gebe dem, der ihn unterrichtet, Anteil an allen Gütern.7 Irret euch nicht! Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch sät, das wird er ernten. 8 Wer auf sein Fleisch sät, der wird von dem Fleisch das Verderben ernten; wer aber auf den Geist sät, der wird von dem Geist das ewige Leben ernten. 9 Lasst uns aber Gutes tun und nicht müde werden; denn zu seiner Zeit werden wir auch ernten, wenn wir nicht nachlassen. 10 Darum, solange wir noch Zeit haben, lasst uns Gutes tun an jedermann, allermeist aber an des Glaubens Genossen.

Wie schön, mal wieder bei einer Hochzeit zu sein! „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, sagt der Pfarrer zum Brautpaar. Und ja, das wollen die beiden tun. Sie wollen füreinander da sein, in guten und in schlechten Tagen. Und die Gottesdienstbesucher freuen sich mit, sind gerührt und hoffen, dass es für die beiden vor allem gute Tage geben wird.
Ich bin nicht gerührt. Ich bin abgelenkt. Die Frau neben mir ist die ganze Zeit am Handy. Es nervt! Weiß die nicht, was sich gehört? So einer wie der würde ich jedenfalls keine Last hinterhertragen wollen!
Mittragen – auch für die, die nerven
Leider fällt mir ein, dass es genau darum geht. Meinen Lieblingsmenschen beim Lasten­tragen zu helfen, ist normal – wenn auch manchmal hart. Aber eigentlich sind vor allem die anstrengenden Zeitgenossen gemeint, wie damals bei den Galatern.
Die hatten schon lange keine guten Tage mehr gesehen. Nach der anfänglichen Begeisterung über den gemeinsamen neuen Glauben machten jetzt dieselben Dinge Probleme, die vorher schon im übrigen Leben für Ärger gesorgt hatten: Überlegenheitsgefühle, Wichtigtuerei, Ehrgeiz oder auch der ganz gewöhnliche Geiz. Irgendwie waren alle auch nur Menschen geblieben. Es was damals dasselbe wie heute: Man kann sich seine Mitmenschen nicht aussuchen, egal ob in der Gemeinde, am Wohnort oder in dem Land, in dem man lebt.
Im Hier und Jetzt fallen mir alle möglichen Leute ein, die mir fremd sind, weil sie meine Meinung nicht teilen, meinen Geschmack oder meine Werte. Die kettenrauchenden Nachbarn mit der lauten Musik. Der protzige Typ von der anderen Straßenseite mit seinen Statussymbolen. Die Frau, die ihre Kinder auf dem Schulweg immer so anschreit.
Mag sein, dass die alle ihr Päckchen zu tragen haben, aber können die nicht bitte trotzdem ein bisschen mehr so sein wie ich?
Fang erst mal bei
dir selbst an
Immerhin muss ich sie nicht heiraten, denke ich, und schon geht meine Fantasie mit mir durch. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich mit all denen, die so anstrengend anders sind, hier in der Kirche vor dem Altar stehen. Vor uns steht der Apostel Paulus und sagt: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
Keiner sagt etwas. Alle fühlen sich unwohl. Paulus wechselt den Tonfall. „Ich weiß, das ist anstrengend“, ruft er. „Ihr habt es versucht und es hat nicht besonders gut geklappt. Trotzdem! Nicht müde werden!“ Jetzt klingt er wie ein Trainer. „Ihr seht doch nur die Oberfläche! Wollt ihr euch wirklich nach euren Autos, euren Ehrenämtern oder eurer Familie beurteilen? Es kommt nicht darauf an, was für ein toller Hecht du selber bist, es kommt darauf an, wie du gut mit den anderen umgehen kannst! Sprecht Probleme respektvoll an. Ihr atmet doch alle Gottes Geist! Atmet ihn tief ein – und vor allem: Atmet ihn aus! Dann stimmt auch das Miteinander!“
„Würde ich ja machen“, denke ich, „aber die anderen?“ Offenbar kann mein Fantasie-Paulus Gedanken lesen. „Fang erst mal bei dir selbst an“, sagt er leise.
Und plötzlich ist das Kopfkino zu Ende, und ich sitze wieder in der Kirchenbank neben der Handy-Frau. Ich überlege, welche Lasten sie wohl mit sich herumträgt. Vielleicht fühlt sie sich einsam auf einer Hochzeit, die nicht ihre eigene ist. Was weiß ich denn schon. Ich lächle unbeholfen zu ihr herüber. Einen Versuch ist es wert. Wir müssen ja nicht gleich heiraten.