Aus Liebe gehandelt

Über die Frau, die Jesus salbte, schreibt Rossella Casonato. Sie ist Pastorin in Hamburg.

Der Predigttext des folgenden Sonntags lautet: „Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.“ aus Markus 14, 3-9
Ich kann es beinah hören: das Raunen und Tuscheln der Männer, die mit Jesus zu Tisch saßen. Eine Frau kommt einfach so rein, mitten beim Abendessen, an dem ausschließlich männliche geladene Gäste teilnehmen. Eine Frau tritt ein, geht direkt auf Jesus zu, holt das Fläschchen mit dem Salböl, zerbricht es und gießt das Öl auf Jesu Kopf.
Diese Geste dürfte den Anwesenden bekannt gewesen sein. Auf ähnliche Weise wurden in Israel die Könige gesalbt. Wer gesalbt wird, bekommt eine herausgehobene Funktion. Die Salbung ist eine große Ehre, die zugleich eine Beauftragung zu besonderen Taten bedeutet.
Den Männern an der gedeckten Tafel passt das jetzt aber nicht. Jesus wird mitten beim Essen gesalbt, und das alles von einer Frau, die niemand eingeladen hat. Wer weiß, wer sie eigentlich ist, was sie für eine Lebensgeschichte hat … Ihnen fällt kein besseres Gegenargument ein, als mit dem finanziellen Aspekt daherzukommen. Das zieht immer. „Das kostbare Öl, viel zu teuer, um es derart zu verschwenden! Lass uns mal schnell rechnen: Für mehr als dreihundert Silbergroschen hätte man es verkaufen und mit dem Geld vielen Armen helfen können!“
Schon prasselt die Schimpftirade auf die Frau ein. Da sagt Jesus: „Halt! Lasst sie! Warum macht ihr sie dermaßen fertig? Sie hat eine gute Tat vollbracht. Sie hat aus Liebe gehandelt und die Salbung meines toten Leibes jetzt schon vorweggenommen. Sie hat gespürt, was in dieser Stunde dran ist. Sie hat eine Ahnung von all dem Leiden, das mir bevorsteht. Gewiss, die Armen brauchen Hilfe, aber dafür ist morgen auch noch Zeit.“
Die Frau hat keinen Namen. Sie spricht kein Wort. Und dennoch, von ihrer Tat geht eine solche Zärtlichkeit aus, eine Wärme, ein Strahlen. Die Frau handelt aus Liebe. Nicht mehr und nicht weniger als das. Ohne zu fragen, ob es jetzt passt. Ob es sich auch finanziell lohnt. Ob es sich mit den geltenden Konventionen und Rollenzuschreibungen vereinbaren lässt. Ob es für sie negative Folgen haben wird. Eine Liebestat genügt, und diese Frau wird niemals mehr in Vergessenheit geraten. „Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.“
Unsere Autorin
Rossella Casonato
ist Pastorin der Kirchengemeinde Eimsbüttel in Hamburg.
Zum Predigttext des folgenden Sonntags schreiben an dieser Stelle wechselnde Autoren. Einen neuen Text veröffentlichen wir jeden Mittwoch.