Aus dem Garten auf die Kanzel

Eigentlich predigen und beerdigen sie nur, wenn Gemeindepastoren krank sind oder in Elternzeit. Doch rund 60 Gastdienstler, alle Pastoren im Ruhestand, stopfen längst auch manche Lücke, für die sich keine Pastoren mehr finden.

Pastor Heinz Behrends im Einsatz als Gastdienstler
Pastor Heinz Behrends im Einsatz als GastdienstlerKirchengemeinde Nikolausberg

Hannover/Göttingen. Heinz Behrends könnte im Garten sitzen und es sich schön machen. Doch den ehemaligen Superintendenten zieht es immer wieder in die Gemeinde­arbeit. „Da kann ich mich austoben und kreativ sein“, sagt der 73-Jährige. Und deswegen hatte er sich noch einmal bis April vertraglich verpflichtet. Als Gastdienstler vertrat der Emeritus die Pastorin der Göttinger Kirchengemeinde Nikolausberg, die in Elternzeit ging. Sechs Monate lang hat der Theologe Gottesdienste geleitet, Kasualien gefeiert und Gemeindemitglieder besucht. „Das war eine gesegnete Zeit“, sagt Behrends, dessen Frau noch im Berufsleben steht. „Ich sehe es als großes Privileg, weitermachen zu können.“

Auch die Gemeinde habe sich gefreut, erzählt Behrends. Denn wenn er nicht eingesprungen wäre, hätten andere Pastorinnen und Pastoren die nötigsten pastoralen Aufgaben schultern müssen – noch zusätzlich zu ihren sonstigen Aufgaben.

„Sinnvolle Betätigung“

„Der Gastdienst bringt den Wunsch eines Ruheständlers nach sinnvoller Betätigung und den Bedarf der Kirchenkreise und Gemeinden zusammen“, beschreibt Pastor Volkmar Keil den Nutzen. Der ehemalige Superintendent, der den Gastdienst der Landeskirche Hannovers koordiniert, ist selbst vor kaum mehr als einem Jahr aus dem „aktiven Dienst“ ausgeschieden und hat nach einer neuen Aufgabe gesucht. Daraufhin habe ihm die Landeskirche Hannovers die Arbeitsstelle angeboten, die es als Projekt seit 1984 gibt. „Ich bin richtig froh über diese Möglichkeit“, sagt der 67-jährige Ruheständler.

Schwierige Phase

Mehr als 60 Gastdienstler im Jahr wird Keil im Schnitt vermitteln, meistens in pastorale Vertretungen, die durch Babypausen oder auch längere Krankheiten nötig seien. Doch zunehmend gerieten auch Vakanzvertretungen und insgesamt schwierige Gemeindesituationen in den Blick, betont Keil. „Im kommenden Jahr werden rund 110 Pastoren in den Ruhestand gehen. Davon werden rund 60 Stellen unbesetzt bleiben“, so Keil. „Wir sind in einer schwierigen Phase.“

Verschärft werde die Situation auch durch demografie- und coronabedingte Mindereinnahmen. In seinem ehemaligen Kirchenkreis, dem Harzer Land, würde durch die sinkende Zahl der Gemeindeglieder alle zwei Jahre eine Stelle verloren gehen, erzählt Keil. Das führe zu komplizierten Gemeindestrukturen. „Eine Firma würde Filialen schließen. Die Kirche kann das nicht.“

Von wegen Feuerlöscher!

Auch die Zahl der Trauerfeiern sei hoch. Das würde viel Zeit erfordern und führe zu „Notlagen“, wie Keil betont. Frühere Vertretungsmechanismen würden nicht mehr greifen, und die Kollegen seien mitunter in einer Situation jenseits von „gut und böse“.Besonders in solchen Situationen, wenn auch der Springer schon an seiner Belastungsgrenze sei, werde der Gastdienst von Kirchenkreisen und Gemeinden angefragt.

Und so wirbt Keil bei Pfarrkonferenzen für die ehrenamtliche Tätigkeit, die in einer Vereinbarung auf minimal drei Wochen bis maximal sechs Monate begrenzt werde. Obendrein werde eine Aufwandsentschädigung von 600 Euro bei kurzen und 800 Euro bei größeren Entfernungen gezahlt. Und tatsächlich steige das Interesse unter angehenden Ruheständlern, sich verbindlich zu engagieren und etwas zu tun, was gebraucht wird, berichtet Keil.

Als „Feuerlöscher“ will er den Gastdienst allerdings nicht verstehen. „Wir bieten den Ruheständlern etwas Sinnvolles an. Aber wir überreden niemanden.“