„Aufräumen“: Porträt einer Pionierin des Feminismus

Doku über die Filmemacherin, Publizistin und Mitinitiatorin der neuen westdeutschen Frauenbewegung Helke Sander.

Mit „Ordnung schaffen“ bringt man die Filmemacherin und feministische Aktivistin Helke Sander eigentlich nicht in Verbindung. „Nimmt man Dir das Schwert, dann greife zum Knüppel“, hieß ein programmatischer Text, den sie für die erste Ausgabe der 1974 von ihr gegründeten Zeitschrift „Frauen und Film“ schrieb.

Sander ging darin dem systemischen Sexismus in der westdeutschen Filmbranche auf den Grund. Und in der Publikation „Feminismus und Film“ heißt es unter der Überschrift: „I like chaos, but I don’t know whether chaos likes me“ sehr deutlich: „Das Authentischste, was Frauen heute auf allen Gebieten und auch in der Kunst äußern können, besteht nicht in einer Vereinheitlichung und Harmonisierung der Mittel, sondern in deren Destruktion. Wo Frauen wahr sind, machen sie kaputt.“

Mit über achtzig Jahren macht sich Sander, eine Agentin des Aufruhrs und der Systemstörung, nun ans „Aufräumen“, wie Claudia Richarz ihr Porträt der Filmemacherin betitelt. Aufräumen bedeutet für Sander zunächst Nachlassordnung und Bestattungsvorsorge. Mit der ihr eigenen Mischung aus Pragmatismus und Nüchternheit sieht man sie zu Beginn beim Besuch eines Beerdigungsunternehmens. Sander spricht auch von der inneren Bedeutung des Aufräumens, von Transzendenz.

Doch in „Helke Sander: Aufräumen“ geht es hauptsächlich um eine zurückschauende Selbstpositionierung. Wiederholt sieht man Sander in ihrer Wohnung auf eine kleine Trittleiter steigen und Kartons aus Regalen und Schränken hervorzerren. Filmrollen, Bücher, Zeitschriften, Kleidungsstücke, von einer Tante „gerettete“ Meissener Porzellantassen und prähistorische Venusstatuen bahnen so eine materielle Spur durch ihre Biografie und Filmografie.

Sanders Werk, obgleich nicht autobiografisch im engeren Sinn, ist von eigenen Erfahrungen gründlich durchwirkt. Die Widersprüche zwischen Lohnarbeit, künstlerischer und politischer Praxis, Sorge-Arbeit und der Rolle als Mutter, das alltägliche Erleben, Objekt männlicher Blicke zu sein, die eigens erfahrene und in erschreckenden Zahlen bezeugte sexuelle Gewalt: All das findet sich in ihrem Leben wie in ihrer künstlerischen Arbeit wieder. In Filmen wie „Subjektitüde“ (1967), „Silvo“ (1967), „Eine Prämie für Irene“ (1971), „Die Deutschen und ihre Männer“ (1989) oder „BeFreier und BeFreite“ (1992) treffen von der Nouvelle Vague beeinflusste Erzählmittel auf die von Widersprüchen gekennzeichnete Lebensrealität von Frauen.

Richarz hat die Filmausschnitte klug gewählt und mit Fotos und Archivbildern verbunden. In ihrer Dokumentation ist auch Sanders berühmter Auftritt auf dem Delegiertenkongress des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) 1968 zu sehen. Sander erklärt in ihrer legendären „Tomatenrede“, dass eine gesellschaftliche Veränderung ohne die Befreiung der Frauen nicht möglich sei. Das teils höhnische Gelächter der Männer beantwortete Sigrid Damm-Rüger mit einem Wurf weicher Tomaten. Es war der Auftakt der neuen deutschen Frauenbewegung. Noch am selben Abend gründeten sich Frauengruppen.

Sander spricht im Film klar und auf den Punkt, aber nie abgeklärt und „aufrechnend“. Ihre Rückschau auf die Ehe mit dem finnischen Schriftsteller Markuu Lahtela und ihr frühes Muttersein hat bei aller Klarsicht einen zärtlichen Ton; auch die Figur ihrer Mutter betrachtet sie in der Ambivalenz zwischen Selbstbehauptung und Unterordnung. Gerade ihre Analysen zu den Widersprüchen und Verstrickungen, in denen sich Frauen vielfach wiederfinden (auch als „Komplizinnen“ ihrer eigenen Unterdrückung), haben heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren.

Wie einflussreich ihre Arbeit auch auf jüngere Menschen ist, lässt sich in „Helke Sander: Aufräumen“ ebenfalls beobachten. Der Film verschleiert dabei auch nicht die „Zeitlichkeit“ von Sanders Feminismus. Als sie bei einer Rede die Erfindung von Gender-Sternen kritisiert, wird sie von einer aufgebrachten LGBTQI-Aktivistin zurechtgewiesen. Sie wolle nicht auf die Rolle der Feministin reduziert werden, erklärt Sander gegen Ende des Films. Die Gefahr einer „allseitig reduzierten“ Filmemacherinnen-Identität ist allerdings schnell weggewischt, wenn man in Sanders Arbeiten hineinschaut.