Auf der Reeperbahn rockt es auf Platt

Eindrücke vom 34. Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hamburg.

Von Amet Bick, Bettina Bertram, Sabine Hoffmann und Sibylle Sterzik

Die Auswahl des richtigen Eröffnungsgottesdienstes war für die Teilnehmenden die erste Herausforderung auf diesem Kirchentag in Hamburg. Der Gottesdienst in leichter Sprache in der HafenCity? Der ökumenische mit skandinavischem Flair auf dem Hamburger Fischmarkt oder der mit Musik auf dem Rathausplatz? Auf der Reeperbahn, Hamburgs Vergnügungsmeile, war die vierte Bühne aufgebaut. Beten zwischen Tingeltangel, Kneipen, Casinos und Sexkinos – zu Hause sieht Kirche anders aus.Die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt tanzte dann mit dem Kantor nach „Geh aus mein Herz und suche Freud“ und wünschte „einen Kirchentag voller Jubel und Nachdenklichkeit“. St.-Pauli-Pastor Julian Sengelmann, nebenbei auch Schauspieler und Musiker, ließ die Beats mit seiner Band krachen.Der Großteil der Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Bibelarbeiten fanden in den Messehallen und dem Congress Center nahe dem Bahnhof Hamburg-Dammtor statt. Gerechte Teilhabe in der Gesellschaft war das zentrale Thema dieses Kirchentages. Über 1000 Veranstaltungen kreisten allein um das Recht auf Gleichberechtigung und Teilhabe von Menschen mit Behinderung.

Wenn wir wirklich miteinander leben würden

Der Kirchentag vermittelte ein Gefühl dafür, wie reich und lebendig es zugehen könnte, wenn wir wirklich miteinander leben und Menschen mit Handicap nicht weitgehend aus der Öffentlichkeit verbannen würden. Fußgänger und Rollstuhlfahrer und auffallend viele Familien mit ihren behinderten Angehörigen waren in den Hallen des Kirchentages in Hamburg unterwegs. Rund 1660 Dauerteilnehmer mit Behinderung waren angemeldet.Die Gesellschaft brauche die Begabungen und Talente aller, sagte Ellen Ueberschär, Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, auf der Abschlusspressekonferenz. Im Zentrum „Barrierefreie Kirche“ gab es Aktionen für Kinder, eine Gemäldeausstellung mit Bildern zum Abtasten, Yoga-Workshops für Schwerhörige und Podiumsdiskussionen, die von Gebärdendolmetscherinnen übersetzt wurden. Auf einem dieser Podien, bei dem es um das Thema „Gelebte Toleranz durch Sport“ ging, sagte der hannoversche Landesbischof Ralf Meister, der Umgang der Kirche mit behinderten Menschen sei eine „Geschichte der Schuld“.

Fragen an Gott, die man nicht zu schnell beantworten sollte

Wie viel die Gesellschaft verpasst, wenn sie sich nur um die Gesunden und Leistungsstarken dreht, machte die Bibelarbeit des Schauspielstudenten Samuel Koch und der Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs eindrücklich deutlich. Samuel Koch, seit seinem Unfall in der TV-Sendung „Wetten, dass …“ querschnittsgelähmt, ist selbstbewusst genug, die ganz großen Bühnen zu bespielen. Mit Kirsten Fehrs sprach er vor 3000 Menschen über „Die Speisung der 5000“. Neben einem Menschen wie Samuel Koch wird keine Theologin in Versuchung geraten, standardisierte Glaubenssätze zu verkünden, weil er ein paar Fragen an Gott hat, die man nicht zu schnell beantworten sollte. Warum Gott Leid zulässt, zum Beispiel. Samuel Kochs Antwort darauf – wobei er sie selbst nicht wirklich gut findet, wie er sagte – lautet: Gott hat den Menschen den freien Willen geschenkt. Sein freier Wille war es, bei „Wetten dass …“ auf Sprungfedern den riskanten Sprung über Autos zu wagen. „Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Gottes Geschenk nicht angenommen“, sagte er. Durch seinen Humor und die direkte, ehrliche Art war diese Bibelarbeit ein berührendes Erlebnis und gleichzeitig gute Unterhaltung, wofür ihm mit stehenden Ovationen gedankt wurde.

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