Asyldebatte – Perspektiven für Migranten am Arbeitsmarkt
Spätestens nach dem Solinger Anschlag läuft die Debatte um Flüchtlinge und Abschiebung wieder heiß. Migrationsbefürworter verweisen oft auf die Leistung ausländischer Arbeitskräfte. Ist das Argument sinnvoll?
Ob im Handel, im Gastgewerbe oder in der Zeitarbeit – Rund zwei Drittel der Flüchtlinge, die auf den Höhepunkt der Fklüchtlingskrise 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben inzwischen einen festen Arbeitsplatz gefunden. Gerne wird diese Zahl von Migrationsbefürwortern angeführt, um das rechtspopulistische Narrativ vom arbeitsscheuen, wenn nicht kriminellen Ausländer, der lediglich Sozialleistungen abgreifen will, zu widerlegen.
Rückendeckung erhalten sie dabei durch die Berechnung von Wirtschaftswissenschaftlern, die von einem Bedarf von jährlich mindestens 1,5 Millionen Zuwanderern ausgehen, um vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in Deutschland Arbeitsplätze überhaupt wieder ausreichend besetzen zu können. Die These lautet also: Der deutsche Arbeitsmarkt braucht Migranten, auch Flüchtlinge, um weiterhin zu funktionieren.
Doch wie sinnvoll ist diese Argumentationslinie tatsächlich für die Debatte? Der katholische Sozialpfarrer Peter Kossen räumt zwar ein, dass Arbeitskräfte benötigt wurden. Gleichzeitig mahnt er jedoch, die Asyl-Debatte auf Basis von Menschlichkeit und nicht “Brauchbarkeit” von Migranten zu führen. “Wie verlogen ist es, wenn die deutsche Gesellschaft in vielen Dienstleistungen Drecks- und Schwerstarbeit von Migranti*innen gern und selbstverständlich annimmt und dann den gleichen Menschen mangelnde Integration vorwirft?”, so der katholische Priester aus Lengerich in Westfalen.
Kossen setzt sich seit Jahren für die Rechte von Arbeitsmigranten in Deutschland ein, besonders in der Fleischindustrie, deren teils gravierende Missstände in der Corona-Pandemie bundesweit Aufmerksamkeit erhielten. Auch auf sein Engagement kam Ende 2020 das Arbeitsschutzkontrollgesetz zustande, das die Arbeitsbedingungen in dem Sektor verbessern sollte. “Aus der Arbeit mit den modernen Sklaven der Fleischindustrie weiß ich, dass, wer sechs Tage in der Woche und elf Stunden am Tag schuftet, danach kein Deutsch mehr lernt”, betonte der Priester.
Die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger sieht das Argument der arbeitenden Migranten zwar als durchaus berechtigt, weil wahrheitsgemäß an. “In sogenannten systemerhaltenden Berufen, die oft durch schlechte und teilweise gefährliche Arbeitsbedingungen gekennzeichnet sind, sind Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund tatsächlich überrepräsentiert. Gleichzeitig sind das aber die Jobs, die hierzulande den Laden am Laufen halten”, sagte die Wiener Forscherin der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Dennoch warnt auch sie vor einer allzustarken Fokussierung: “Wenn nur auf das Humankapital und die Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt geschaut wird, besteht die Gefahr, dass jene Geflüchtete durch das Raster fallen, die dem Arbeitsmarkt noch nicht oder nie zur Verfügung stehen werden. Das sind alte Menschen, aber genauso auch Kinder und Jugendliche.”
Für eine schnellere und vor allem erfolgreichere Integration von Flüchtlingen über den Arbeitsmarkt muss aus ihrer Sicht zum einen das Anerkennungsverfahren für ausländische Berufsabschlüsse und Qualifikationen ausgeweitet werden. Zum anderen brauche es aber auch bessere Perspektiven für die Menschen. “Wichtig wären Aufstiegsmöglichkeiten sowie weitere qualifizierende Maßnahmen für diese Menschen. Das klappt am besten, wenn der Einstiegsjob schon in der passenden Branche vermittelt wird.”
Die meisten Geflüchteten seien nach ihrer Erfahrung durchaus arbeitswillig und schätzten es positiv ein, nach Ausbildung und Qualifikationen befragt und eingesetzt zu werden, so Kohlenberger. “Es stärkt ihre Selbstwahrnehmung als ‘vollwertige Menschen’ die etwas Nützliches beitragen können.” Allerdings könne die Erwartung der Geflüchteten an ihren Job teilweise höher liegen als die ihnen am Arbeitsmarkt eingeräumten Möglichkeiten – insbesondere dann, wenn die Menschen aus ihrer Heimat schon Ausbildung und Arbeitserfahrung mitbrächten. “Die Einstiegsjobs entsprechen dann nicht ihrem Anspruch, den sie aus Ausbildung und bisheriger Tätigkeit haben. Deshalb ist es manchmal leichter, afghanische Flüchtlinge ohne höhere Bildung in einen Job zu vermitteln als Syrer mit Bildungsabschluss.”
Die Migrationsforscherin kritisierte zugleich, dass nicht für alle Flüchtlinge die gleichen Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt herrschten. So könnten Ukrainerinnen und Ukrainer schneller eine Arbeit beginnen, da sie keine langwierigen Asylverfahren durchlaufen müssen. Diese Ungleichheit und die teilweise lange Wartezeit auf Asylbescheide senke bei vielen Geflüchteten die Motivation, so Kohlenberger. “Ich würde dafür plädieren, den teilweise höheren Standard für ukrainische Geflüchtete nicht zu senken, sondern ihn vielmehr auf alle Geflüchteten anzuwenden.”