Asyl in Mecklenburg

„Deutschland Deutschland über alles“ – das mag heute niemand hören. Aber der Dichter Heinrich Hoffmann von Fallersleben wollte damit seine Heimatliebe, nicht Großmannssucht ausdrücken. An ihn erinnert eine neue Dauerausstellung in der Kirche in Buchholz nahe dem Schweriner See.

Ein Blick in die neue Ausstellung über Hoffmann von Fallersleben in der Kirche in Buchholz am Schweriner See.
Ein Blick in die neue Ausstellung über Hoffmann von Fallersleben in der Kirche in Buchholz am Schweriner See.Sabine Ihl

Buchholz. Neun Jahre – von 1959 bis 1968 – lebte und arbeitete ich in der Retgendorfer Kirchengemeinde. Es war meine erste Pfarrstelle. Neun Dörfer gehörten zur Gemeinde, darunter auch das Kirchdorf Buchholz, meine zweite Predigtstelle. Zur Buchholzer Kirche gehörte das kleine Dörfchen Holdorf. Erreichbar war es die meiste Zeit im Jahr nur zu Fuß auf einem etwa drei Kilometer langen Landweg. Erst jetzt, ein halbes Jahrhundert später, erfuhr ich dank der Fallersleben-Ausstellung des Fünf-Türme-Vereins in der Buchholzer Kirche, die kürzlich unter großer Publikumsbeteiligung eröffnet wurde, von Heinrich Hoffmann von Fallerslebens Jahre in Mecklenburg.

Als überzeugter Demokrat wurde Fallersleben in Preußen seiner Ämter enthoben. Bei dem Gutsbesitzer Gottlieb Samuel Schnelle in Buchholz und auch bei dem Holdorfer Gutspächter Rudolf Müller fand er für drei Jahre – von 1845 bis 1847 – gastfreundliche Aufnahme. Beide Gastgeber waren wie Fallersleben den von den Großherzögen in Schwerin beargwöhnten demokratischen Protagonisten zugetan und engagierten sich mit Gleichgesinnten gemeinsam für demokratische Entwicklungen in den rückschrittlichen, feudalistischen Kleinstaaten. Dazu gehörte auch ihr Eintreten für eine Überwindung der Kleinstaaterei und Schaffung eines deutschen Nationalstaates.

Zum Hassgesang pervertiert

Fallerslebens „Lied der Deutschen“ erklärte Friedrich Ebert (SPD), der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, 1922 zur Nationalhymne. Erst die Nationalsozialisten, die bei allen möglichen offiziellen Gelegenheiten die Hymne zusammen mit dem Horst-Wessel-Lied „Die Fahne hoch“ singen ließen, pervertierten die Hymne zu einem aggressiven chauvinistischen Hassgesang gegen alles Nichtdeutsche. Ich wurde 1944 – gerade zehn Jahre alt – „Pimpf“ im „Deutschen Jungvolk“. Bei allen möglichen Gelegenheiten mussten wir Kinder „antreten“, den rechten Arm ausstrecken, die Hymne, das Horst-Wessel-Lied und auch das aggressive „Es zittern die morschen Knochen“ singen, in dem die Zeile vorkam: „… und heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt“.

Eine Kinderhymne für Deutschland

So marschierte Nazi-Deutschland 1939 in den furchtbaren Zweiten Weltkrieg. Am Ende gehörte uns weder die ganze Welt noch das ganze Deutschland. Und die Hymne konnte nicht mehr die Zeile enthalten „Von der Maas bis an die Memel“. Nun gehörte uns nur noch das halbe Deutschland, und es musste heißen „von der Maas bis an die Oder“. Aber das reimte sich nicht, ging also nicht. So musste eine neue Hymne her, jedenfalls in dem Teilstaat DDR. Johannes R. Becher dichtete sie: Auferstanden aus Ruinen. Ich mochte sie, vor allem wegen der Zeile: „… dass nie eine Mutter mehr ihren Sohn beweint.“ Doch bald passte auch diese Hymne nicht mehr ins Bild der SED-Mächtigen. Ein „Deutschland, einig Vaterland“ sollte es nicht geben. Die DDR sollte das neue, das sozialistische „tausendjährige Reich“ sein. Mein Vorschlag: Wir machen Bert Brechts Kinderhymne zur Nationalhymne für unsere Bundesrepublik Deutschland:

Anmut sparet nicht noch Mühe,
Leidenschaft nicht noch Verstand,
dass ein gutes Deutschland blühe
wie ein andres gutes Land.

Dass die Völker nicht erbleichen
Wie vor einer Räuberin,
Sondern ihre Hände reichen
Uns wie andern Völkern hin.

Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein.
Von der See bis zu den Alpen,
Von der Oder bis zum Rhein.

Und weil wir dies Land verbessern,
Lieben und beschirmen wir’s.
Und das Liebste mag’s uns scheinen,
So wie andern Völkern ihrs.

Das hätte auch Heinrich Hoffmann von Fallersleben gefallen. Denn sein „Deutschland Deutschland über alles“ war Ausdruck seiner Heimatliebe und nicht Großmannssucht.