Arte zeigt Doku “Dreamer” über einen US-Immigranten

Carlos’ Familie ist vor Jahrzehnten illegal aus Mexiko eingewandert. Deshalb verfügt der Bauleiter aus Chicago nur über einen prekären Aufenthaltsstatus. Eine Arte-Dokumentation begleitet ihn.

Carlos blickt aus dem Fenster der Metro. Er kam mit 9 Jahren nach Chicago
Carlos blickt aus dem Fenster der Metro. Er kam mit 9 Jahren nach ChicagoSWR / Intermezzo Films

Es ist ein befremdlicher, fast paradoxer Schwebezustand, in dem sich 2,5 Millionen Menschen in den USA befinden. Als Kinder kamen sie mit ihren Eltern “illegal” ins Land und besitzen auch als Erwachsene keine Aufenthaltsberechtigung. “Dreamers” nennt man diese Immigranten, die beim geringsten Vergehen befürchten müssen, außer Landes verwiesen zu werden, und seien sie auch noch so integriert. “Dreamer” ist ein Akronym für den “Development, Relief and Education for Alien Minors Act” (DREAM Act), einen gescheiterten Entwurf für ein Einwanderungsgesetz aus dem Jahr 2001. Eine Arte-Doku zeigt deren Schicksal.

Carlos ist ein solcher “Dreamer”. Als Neunjähriger ist er 1993 mit seinen Eltern und seinen drei Brüdern George, Jesus und Julius aus Mexiko nach Chicago geflohen und dortgeblieben. Die Mutter hatte studiert und in Mexiko als Lehrerin gearbeitet; in Chicago musste sie sich wie ihr Mann mit schlecht bezahlten Aushilfsjobs begnügen. Weil der Vater die Belastungen nicht verkraftete und gewalttätig wurde, ließ sich die Mutter scheiden. Und da sie 14 Stunden am Tag arbeiten musste, waren Carlos und seine Brüder meist sich selbst überlassen.

Carlos ist die Hauptfigur des Dokumentarfilms “Dreamers”

Carlos ist die Hauptfigur des Dokumentarfilms “Dreamers” von Stephanie Barbey und Luc Peter, den Arte am 28. Oktober ab 23.55 Uhr zeigt. Er ist inzwischen 38 Jahre alt und führt durch seinen Alltag. Aus dem Off kommentiert er sein Leben zwischen Arbeit und Familientreffen. Seine gebrechliche Großmutter Juanita sitzt im Rollstuhl und besucht gerne den Zoo, wo sie Bäume aus Mexiko sehen kann, die sie sehr vermisst.

Skyline von Chicago: Heimat der „Dreamers“
Skyline von Chicago: Heimat der „Dreamers“SWR / Intermezzo Films

Die Kamera begleitet Carlos auch zur Geburtstagsfeier seines Neffen Freddy, des einzigen Sohns von George. Freddy war noch ein Baby, als George nach Mexiko zurückgebracht wurde. Wegen einer Verkehrswidrigkeit hatte ein Polizist sein Auto angehalten und ihn festgenommen, da er keinen Führerschein besaß. Am Ende landete George wegen anderer Vergehen für zwei Jahre im Gefängnis und wurde danach abgeschoben. Carlos und seine Familie haben ihn seit 15 Jahren nicht mehr gesehen. Zwei Mal hat George versucht, in die USA zurückzukehren. Vergeblich. Wenn er nochmals erwischt würde, müsste er mit 30 Jahren Haft rechnen. Während er in Mexiko unter schweren Depressionen leidet, kümmern sich die Brüder um Freddy.

“Dreamers”: Film in Schwarz-weiß

Die Filmautoren haben früh entschieden, den Film in Schwarz-weiß zu drehen. Ästhetisch greifen sie damit die Schattenwelt auf, in der Menschen wie Carlos sich bewegen. Immigranten wie er gehen zur Schule, arbeiten und zahlen ihre Steuern wie alle anderen US-Bürger, aber als Menschen ohne Ausweispapiere haben sie praktisch keine Rechte. Sie können nicht ins Ausland reisen und müssen jederzeit damit rechnen, beim kleinsten Fehler ausgewiesen zu werden.

“Selbst ein kaputter Scheinwerfer könnte dazu führen, dass ich abgeschoben werde. Man ist ihnen einfach ausgeliefert. Das ist es, was einen kaputtmacht”, sagt Carlos. Er kontrolliert deshalb penibel, ob Scheinwerfer und Blinker ordnungsgemäß funktionieren. In vielen ruhigen Szenen unterstreicht die leise, poetische Musik von Louis Jucker die melancholische Atmosphäre des Films, der sich gelegentlich auch narrative Redundanzen leistet.

Carlos fühlt sich manchmal wie in einem Gefängnis

In Chicago haben es Carlos und seine Familie noch relativ gut getroffen. Denn im Vergleich zu anderen Staaten ist der Kurs gegenüber illegalen Migranten toleranter. “Wir können den Bundesstaat Illinois nicht verlassen, weil in den USA nicht überall so liberal mit Immigranten umgegangen wird wie in Chicago. Es fühlt sich manchmal trotzdem wie in einem Gefängnis an”, sagt Carlos, der in jungen Jahren ein exzellenter Fußballer war und heute sein Geld als Bauleiter verdient.

Die Filmemacher lassen keinen Zweifel daran, dass die meisten Träume von Carlos und vieler seiner Schicksalsgenossen in der harten Realität zerstoben sind. Viele “Dreamer” stecken in einer Sackgasse, da es keine Aussicht auf eine Verbesserung der restriktiven gesetzlichen Regelung gibt.

Für manche gibt es allerdings Auswege aus der Not. Carlos’ jüngerer Bruder Julio hat ein College besucht und eine US-Amerikanerin geheiratet, wodurch er einen US-Pass erhalten hat. Freddy ist in Chicago geboren und dadurch automatisch US-Bürger. Auch für Carlos gibt es am Ende einen Hoffnungsschimmer, denn seine Braut ist schwanger, und das gemeinsame Kind wird ebenfalls die US-Staatsbürgerschaft erhalten. Der Traum vom sicheren Leben in Freiheit könnte für ihn doch noch in Erfüllung gehen.

“Dreamers”: Montag, 28. Oktober, 23.55 Uhr, Arte