Von der Macht der Illusionen: Arte-Krimi über einen ermittelnden Häftling

Der österreichische Kommissar Horak, der 2020 schon einmal zwischen Wahn und Realität ermittelte, ist zurück. Allerdings diesmal als Gefängnisinsasse.

Die Dorfpolizistin Sophie Landner (Julia Koch) im Einsatz
Die Dorfpolizistin Sophie Landner (Julia Koch) im EinsatzORF/ Manuel Riesterer

„Illusionen, Illusionen/sind das Schönste auf der Welt./Illusionen, Illusionen,/sie sind das, was uns am Leben hält“, sang die große Hildegard Knef einst. Und sie singt es auch in diesem Film aus der österreichischen „Landkrimi“-Reihe: Arte strahlt „Das Schweigen der Esel“ am 12. Januar, von 20.15 bis 21.45 Uhr aus. Wie schon im Vorgängerfilm „Das letzte Problem“ von 2019, in dem der Vorarlberger Ermittler Jonas Horak das erste Mal auftauchte, geht es auch diesmal um eine Story, die sich auf dem vielbeschworenen Grat zwischen Trugbild und Wirklichkeit bewegt.

Allerdings mit dem feinen Unterschied, dass Horak (Karl Markovics) mittlerweile im Gefängnis sitzt: Er wurde für den offensichtlich im Zustand geistiger Umnachtung begangenen Doppelmord verurteilt, den er damals aufzuklären vorgab. Nun verbringt er seine Tage mit der Pflege des Gartens einer Anstalt „für psychisch abnorme Rechtsverbrecher“ – und ist dabei äußerst zufrieden.

Plötzlich sind Hunde- und Eselhalter rund um Dornbirn in Gefahr

Bis, ja, bis Sophie Landner (Julia Koch) bei ihm auftaucht: die Polizistin, die ihn einst überführte. Denn eine alte Bäuerin wurde im wahrsten Sinne des Wortes um einen Kopf kürzer gemacht – während deren Hahn, was noch eine Rolle spielen wird, quicklebendig durchs Haus stolziert. Die ehrgeizige Landner, eigentlich gar nicht zuständig, will den Fall nun mit Horaks Hilfe aufklären. Doch der reagiert panisch, sieht sein neues Leben als „einfacher Mensch“ in Gefahr: Denn es scheint, als wäre „Freitag“ (Stefan Pohl) wieder aufgetaucht, Horaks imaginärer, perfider Assistent von einst.

Und tatsächlich ist es fortan vorbei mit der Seelenruhe des Sträflings. Horak sieht sich an seine Publikation über Straftatbestände in Grimmschen Märchen erinnert; insbesondere an das Kapitel über die Bremer Stadtmusikanten. Was wäre, wenn ein Serientäter – Freitag? – die in dem Märchen den Tieren angedrohten Todesarten sozusagen umdrehte und deren Besitzern angedeihen ließe? Was hat es also mit der ertrunkenen Katzenbesitzerin auf sich, einem weiteren Todesfall aus der Gegend – kam sie ebenfalls gewaltsam ums Leben? Plötzlich scheinen sämtliche Hunde- und Eselhalter rund um Dornbirn in Gefahr zu sein.

„Nur weil es verrückt ist, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt!“

Doch wie verlässlich ist dieser Jonas Horak? Immerhin ist er davon überzeugt, dass Freitag ein „dämonischer Parasit“ sei, der sich seine „Wirte“ suche, durch diese seine diabolischen Taten vollbringe. „Nur weil es verrückt ist, heißt das noch lange nicht, dass es das nicht gibt!“, sagt er einmal. Nur so viel sei verraten: Überraschend ist die Auflösung, aber in sich stimmig.

Grundlage dafür ist ein dramaturgisch kunstvoll gebautes, mit mehreren falschen Fährten und überzeugenden Wendungen versehenes Drehbuch, für das Karl Markovics hier ebenso wie für Hauptrolle und Regie verantwortlich zeichnet. Verstecken muss er sich mit seiner Arbeit wahrlich nicht neben Bestsellerautor Daniel Kehlmann, der die Horak-Figur erfand und das Drehbuch zum ersten Film schrieb.

Lob für sorgfältige Regie

Diesmal vermeidet Markovics erfreulicherweise auch den zentralen Fehler von „Das letzte Problem“, der zu sehr zur One-man-Show mutierte. Mit Sophie steht nun ein mindestens ebenso wichtiger weiterer, interessanter Charakter im Mittelpunkt. Und Julia Koch legt diese nach Höherem, nämlich dem kriminalpolizeilichen Dienst strebende Provinzpolizistin als schön beharrliche, in ihrer Fokussiertheit gelegentlich fast stoische Figur an.

Daneben wirkt der aus seiner Gärtner-Ruhe gebrachte Horak manchmal fast wie ein Rumpelstilzchen – und doch scheinen sich diese beiden ähnlicher zu sein, als sie zunächst wirken. Oder ist das nur in Horaks Einbildung so?

Gelungen sind aber auch sämtliche anderen schauspielerischen Leistungen, die sorgfältige Regie, der Einsatz des im TV eher selten zu hörenden Vorarlberger Dialekts, die gut gewählten Locations, die stimmungsvollen Kamerabilder und die präzise gestaltete Musikspur. Das intensive, fesselnde Psychogramm einer möglicherweise wahnhaften Persönlichkeit – und ein so spannender wie unterhaltsamer Kommentar zur Macht der Illusionen.

„Das Schweigen der Esel“: 12. Januar, 20.15 Uhr, Arte