Arte-Doku über Steuer(un)gerechtigkeit – fesselnd wie ein Krimi

Konzerne werden immer reicher, Staaten immer ärmer: Schuld sind eklatante Missstände bei der Besteuerung von Unternehmen. Eine spannende Doku porträtiert die Expertenkommission, die das ändern will.

Eine Doku über Steuern – die fesselt wie ein Krimi?! Doch, das gibt es: Dem Film “Tax Wars – Krieg der Steuern”, den Arte 4. Juni von 20.15 bis 21.45 Uhr ausstrahlt, gelingt dieser erstaunliche Spagat. Die Norwegerin Hege Dehli erzählt darin von Steuerschlupflöchern, so groß wie Panama, Bermuda- und Cayman-Inseln zusammen. Von ebenso dreisten wie verbreiteten Methoden, mit denen sich millionenschwere Unternehmen künstlich arm rechnen und Gewinne in so genannte Steueroasen verschieben. Sowie von den zersetzenden Folgen, die derlei “steuerkreative” Vorgänge für sozialen Frieden und Demokratien weltweit haben.

Während die multinationalen Konzerne in den vergangenen Jahrzehnten immer reicher wurden, wurden die Staaten – gebeutelt von den Kosten durch Pandemie, Kriegen und Klimakrisen – immer ärmer. Schätzungen gehen von einem jährlichen Verlust zwischen 100 und 480 Milliarden Dollar durch Steuerflucht aus.

Hege Dehli geht es nicht primär um das Aufzeigen von Missständen: Ihr Film ist das Porträt einer Gruppe von Experten, die sich 2015 in der ICRICT-Kommission (der “Unabhängigen Kommission zur Reform der Internationalen Unternehmensbesteuerung”) zusammen getan haben – für, man muss das so pathetisch formulieren, eine gerechtere Welt. Unter ihnen sind namhafte Wirtschaftswissenschaftler wie der US-amerikanische Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, die indische Ökonomin Jayati Ghosh, der französische Bestsellerautor Thomas Piketty, aber auch die norwegische EU-Politikerin Eva Joly. Sie alle arbeiten weniger an einer Reform des fast 100 Jahre alten Systems der globalen Unternehmensbesteuerung – sondern vielmehr an einer Revolution, wie es hier einmal heißt.

Ihre zentrale Idee: die Einheitsbesteuerung. Etwa Google als einen Konzern zu behandeln, nicht aufgesplittet in Google India oder Google France. Schließlich markiert der eigene Steuerstatus für Tochterunternehmen, beschlossen im Jahr 1928, den Beginn der Schieflage: Er erlaubte es den Firmen, ihre Gelder dorthin zu schieben, wo die Steuergesetze besonders großzügig waren. Was zu einem “toxischen” Unterbietungswettbewerb unter den Staaten führte. Eine Einheitsbesteuerung ließ sich bislang nicht durchsetzen. 2023 durfte man dennoch feiern: Über 130 Staaten beschlossen einen globalen Mindeststeuersatz von 15 Prozent.

Beendet ist der Kampf der ICRICT damit noch lange nicht: Die Expertenkommission unterstützt die Länder des globalen Südens in ihren Bemühungen um mehr Steuergerechtigkeit. Und sie richtet ihren Blick auf die sogenannten Superreichen, die die Einkommenssteuer oft komplett umgehen: So habe Amazon-Chef Jeff Bezos schon mal einen Kinderbonus-Scheck für Bedürftige bekommen, weil er jahrelang kein steuerpflichtiges Einkommen anzugeben hatte, weiß Ökonom Gabriel Zucman zu berichten.

Eine neutrale Beobachterin ist Regisseurin Dehli nicht; ihre Sympathien für Arbeit und Ideen der ICRICT sind klar erkennbar. Daran lässt sie in ihrem mit “Star Wars”-Zitaten versehenen Film keinen Zweifel, setzt deren Mitglieder als “Ritter” gegen “das Imperium der Steuerflucht” und “Galaxien multinationaler Konzerne” in Szene. Der popkulturelle Bezug wirkt gelegentlich ein wenig bemüht, wird aber nicht überstrapaziert. In dramaturgischer Hinsicht ist die “Gut”-gegen-“Böse”-Konstellation durchaus hilfreich, sorgt für Spannung – ohne ins Plakative zu rutschen.

“Tax Wars” bleibt immer sachlich, fesselt allein durch die Fülle wie geschickte Erzählweise der verhandelten, frappierend ungerechten Tatsachen. Hilfreich sind zudem die eloquenten, medial geschulten Gesprächspartner, aber auch Dehlis Recherchen in Frankreich, Chile und Sambia, die die Auswirkungen dieses Steuersystems auf die Menschen vor Ort veranschaulichen. So technokratisch sei dieses System, dass die Menschen es nicht verstünden und es daher den – nicht immer wohlmeinenden – Experten überließen, sagt Jayati Ghosh einmal. Hege Dehlis nicht geringes Verdienst ist es, das spröde Thema Unternehmensbesteuerung für Laien so anschaulich wie packend aufbereitet zu haben.