In der Reportage “Durch meine Augen – Mein Vater Howard Carpendale” zeigt der Schauspieler und Regiedebütant Wayne Carpendale ausschnitthaft das Musikerleben abseits des Rampenlichts.
Welcher der beiden Regisseure, ob Wayne Carpendale oder Clemens Bittner, auch immer die Idee hatte – der Einstieg in die Reportage “Durch meine Augen – Mein Vater Howard Carpendale” ist ausgesprochen gelungen. Das Duo, Clemens Bittner führte selbst die Kamera und übernahm auch den Schnitt, setzt vollends auf die bildliche Impression, nimmt dabei aber nicht gleich alle wichtigen Momente vorweg.
Wir sehen eine schemenhafte Gestalt, außerhalb des Schärfebereichs der Optik. Die Person betritt eine Tiefgarage, besteigt ein Auto. Auf einem einsamen Feldweg rollt der Wagen aus. Erst später, im Laufe des Films, wird deutlich: Am Steuer sitzt der Entertainer und Komponist Howard Carpendale, der regelmäßig die Einsamkeit sucht, um seine Titel abzuhören und den Ablauf bevorstehender Tourneeauftritte zu planen.
Wayne Carpendale, Howards Sohn, hauptberuflich Schauspieler und Autor sowie Ko-Regisseur des Films, ist unterdessen unterwegs zur Preisverleihung “Die Goldene Henne”. Sein Vater soll eine Auszeichnung für sein Lebenswerk erhalten. Wayne wurde um die Laudatio gebeten, soll den Vater überraschen und macht sich Gedanken: “Das kann schnell kitschig sein.”
Der Überraschungseffekt gelingt. Vor Publikum und Fernsehkameras spricht Wayne offen die Tiefen in des Vaters Karriere an, die Phase der Depression nach 2003, die nur durch klinische Behandlung überwunden werden konnte. Beide Carpendales sind gerührt, der Kitschmoment bleibt aus.
Diese Szenenfolge bildet die Ouvertüre. Howard Carpendale weiß da noch nicht, dass sein Sohn ein Filmporträt plant. Natürlich kann der nicht völlig neutral und objektiv über die eigene Familie berichten. Das sollte das Publikum immer im Hinterkopf haben.
Andererseits erlaubt diese Nähe einige Einblicke, die einem fremden Filmteam wohl nicht gelungen wären. Etwa wenn Howard Carpendale beim anstrengenden Interview-Marathon zum neuen Album “Let’s Do It Again” immer heftigere Schmerzen hat und sich wenig später einer Hüftoperation unterziehen muss. Im Film enthalten sind ein Besuch im Krankenhaus und Howards Bemühungen, nach der OP im Fitness-Studio Kräfte und Kondition und damit die Bühnenreife zurückzuerlangen.
Zwischenzeitlich muss ein Fototermin für das Boulevardblatt “Bunte” absolviert werden. Die gesamte Familie, drei Generationen, wird vor dem Weihnachtsbaum aufgestellt. Für Filmemacher Wayne Carpendale kein Anlass zur kritischen Reflexion über die ungenierte Ausbeutung des Privaten durch einschlägige Medien. Er stünde allerdings auch vor einem Glaubwürdigkeitsproblem, denn auch seine Ehefrau Annemarie ist als Pro-Sieben-Moderatorin von Sendungen wie “taff” und “red!”im selben Metier tätig wie die “Bunte”.
Nach diesem Zwischenspiel beginnen die Proben zur umfangreichen Tour, einer Großproduktion für Deutschlands größte Hallen. Hier wird der Film dramatisch, denn drei Tage vor der Premiere bekommt der Sänger gesundheitliche Probleme. In München werden die Beschwerden akut. Die ausverkaufte Halle mit über 12.000 Plätzen füllt sich bereits. Das Team lässt einen Arzt kommen. Muss das Konzert in letzter Minute abgesagt werden? Werden Kraft und Stimme reichen?
Howard Carpendale wird am 14. Januar 79 Jahre alt. Ein Hauch von Abschied liegt über der Tour und durchweht somit auch diesen Film. Eine melancholische Note, selten nur kitschig. Und wenn, dann verzeihlich.
“Durch meine Augen” liefert eine Momentaufnahme, kein umfängliches Porträt. Carpendales Biografie und musikalischer Werdegang wären ein ergiebiges Thema. Geboren in Südafrika, begann er früh zu singen, setzte seine Karriere in Großbritannien in einer Beatband fort. Mit dieser Formation gelangte er 1966 zur legendären Musikkneipe “Haus Waterkant” in Norddeich, heute “Meta’s Musikschuppen”. Wenig später singt er deutsche Schlager und geht mit Kolleginnen und Kollegen unter Federführung des ZDF-Moderators Dieter Thomas Heck zugunsten der CDU auf Tournee. Seltsame Kontraste, interessante Reibungen. Ein tolles Thema für einen längeren Dokumentarfilm.