Archäologie-Ausstellung zieht Linien in die Gegenwart
Einblicke in Lebensweisen, Herrschaft und Glaubenswelten der Menschen in den ersten Jahrhunderten – das verspricht eine neue Archäologie-Ausstellung in Stuttgart. Bedeutende Funde aus ganz Europa sind aufwendig inszeniert.
Eine weiße Stofffahne weht über dem Grab. Plötzlich erscheint darauf die Projektion eines Kindes. Gekleidet und bewaffnet wie ein Krieger mit Schild und Schwert. Dann fällt das Digitalbild nach unten und löst sich über der Vitrine auf: Dort liegen die originalen Waffen des jung gestorbenen, mittelalterlichen Kriegers. 1.400 Jahre alte archäologische Funde aus dem Lauchheimer Gräberfeld auf der Ostalb – perfekt in Szene gesetzt für die neue Landesausstellung “Wir im ersten Jahrtausend – The hidden Länd” in Stuttgart.
Die Schau will keine vollständige Ereignis- und Kulturgeschichte der ersten Jahrhunderte erzählen, sondern wählt einen anderen, konzentrierteren Ansatz. “Wir werfen Schlaglichter, stellen herausragende Fundorte im heutigen Südwestdeutschland vor und ergänzen die Funde mit Leihgaben aus ganz Europa”, sagte der Leiter des Landesdenkmalamts, Claus Wolf, bei der Vorstellung der Ausstellung am Montag.
Integration, Migration, Kommunikation, Spiritualität, Macht – das sind die fünf Überschriften für die fünf Ausstellungsbereiche. Was auf den ersten Blick etwas sperrig klingen mag, funktioniert beim chronologischen Ausstellungsaufbau gut.
Beispielsweise erlauben die im badischen Diersheim entdeckten Germanengräber im Vergleich zu weiteren Grabfunden Einblicke in verschiedene Stufen der Integration römischer Kultur in den ersten beiden Jahrhunderten. Während im nahen Ladenburg bereits römische Prachtbauten entstanden – ausgestellt sind faszinierend gearbeitete Beschläge eines großen Stadttores – bewahrten sich die Germanen von Diersheim ihre eigene Bestattungskultur, inklusive Beigabe ihrer typischen Schwerter.
Im Bereich Migration wird deutlich, wie sich die römischen Architektureinflüsse über Europa verbreiteten. Als Sensation bezeichneten die Ausstellungsmacher die jetzt erstmals in Deutschland gezeigten Funde aus westukrainischen Germanengräbern des ersten und zweiten Jahrhunderts. Zu den 2017 nahe der Stadt Lwiw entdeckten Objekten gehören verzierte Glasbecher, Teile von Trinkhörnern, ein Bronze-Eimer und ein aufwendig dekorierter Kupferkessel. Die Griffe des Gefäßes zieren Köpfe, die dank ihrer Frisur mit Haarknoten als Sueben und damit als damalige Bewohner des Südwestens erkennbar sind.
Im Mittelpunkt des Bereichs Spiritualität stehen die christlichen Funde rund um die alamannische Sülchenkirche bei Rottenburg. Sülchen zählt zu den frühesten christlichen Orten im Südwesten – bis heute werden dort die württembergischen Bischöfe bestattet.
Wie ein Zeltdach überspannt ein Kirchendach in der Ausstellung die dort entdeckten frühesten christlichen Zeugnisse aus dem 6. und 7. Jahrhundert: Heiligendarstellungen auf Münzen, christliche Kreuze und Ketten, Goldkästchen zur Aufbewahrung von Reliquien, den Knochensplittern von christlichen Heiligen.
Irdischer und weltzugewandter präsentieren die Ausstellungsmacher den Bereich Kommunikation. “Wir zeigen, wie reiche Familien Festmahle ausrichteten, wie sie sich kleideten und wie sie wohnten”, sagte Kuratorin Gabriele Graener. Alle Funde stammen aus Gräbern und dokumentieren mitunter den Reichtum der so beigesetzten Menschen: kunstvoll geschliffene Gläser, Spielsteine oder sogar ein Tisch mit Sessel.
Unklar bleibt allerdings, warum und mit welchen Ideen genau die Menschen damals ihren Toten solche aufwendigen Ausstattungen mitgaben. Als Zeichen vor allem für ihre Identität und gesellschaftliche Stellung? Oder als Hoffnung, diese Gegenstände im Jenseits gebrauchen zu können?
Der abschließende Ausstellungsraum fragt am Beispiel der Königspfalz von Ulm um das Jahr 1.000 nach den Bedingungen und Formen von mittelalterlicher Macht und Herrschaft. Grundherren spannen ein Netz von Abhängigen, die für sie arbeiten und wirtschaften mussten. Knochenfunde geben Hinweise darauf, wie hart Menschen im Mittelalter schuften mussten: Anthropologen fanden Hinweise auf Mangelernährung oder Lungenkrankheiten.
Eindrucksvoll ist die gewaltige Menge von Schlacke, die als Abfallprodukt bei der Eisenherstellung für ein einziges Schwert anfiel. Und wie viel Arbeitskraft und künstlerische Fähigkeiten waren nötig, um Kostbarkeiten wie die ausgestellten Goldringe der Herrschenden oder das Krönungsschwert der deutschen Kaiser zu erschaffen?