Archäologe Zuchtriegel warnt vor Klischees über die Antike

Das antike Pompeji gehört zu den Sehnsuchtsorten von Italien-Liebhabern. Ein früher Hort des “Dolce Vita” war die von einem Vulkanausbruch verschüttete Stadt aber eher nicht.

Der Archäologe Gabriel Zuchtriegel wirbt für eine neues Bild von Antike und Mittelalter. “Wir sind heute gewohnt, die Zeit zwischen Altertum und Neuzeit als finsteres Mittelalter zu betrachten”, sagte der Leiter des Archäologischen Parks in Pompeji. “Dort laden wir alles ab, was uns nicht gefällt: Aberglaube, Armut, Ausbeutung, Ignoranz, Folter, Grausamkeit.”

Dabei sei die Antike nicht viel besser gewesen, so Zuchtriegel. “Wir schätzen, dass bis zu einem Drittel der Bevölkerung in Pompeji versklavt war.” Eine Werbung für Gladiatorenspiele zeuge zudem von dem Grauen in den Arenen. “Da heißt es vormittags Gladiatorenkämpfe, nachmittags Tierhetzen und dazwischen in der Pause Kreuzigungen.”

Der Vulkanausbruch, der im Jahr 79 nach Christus Pompeji und andere Städte am Golf von Neapel auslöschte, sei zweifellos eine Katastrophe gewesen, so der Archäologe. Für die römische Geschichte allerdings sei das Geschehen “erschreckend bedeutungslos” gewesen. “Der Kaiser schickte ein paar Beamte, das war’s.”

Dies könne mit dem zyklischen Weltbild der Antike zu tun gehabt haben: “Solche Katastrophen passieren eben; Städte verschwinden, andere entstehen.” Zuchtriegel weiter: “Die Römer konnten damit vielleicht eher fertig werden als eine Gesellschaft, die an Fortschrittlichkeit und göttlicher Gerechtigkeit interessiert ist.”

In Religionsfragen gab sich das Römische Reich liberal, so der aus dem baden-württembergischen Weingarten stammende Archäologe. “Die Idee war: Alle können ihre eigenen Götter weiter verehren, wenn man sich in die große polytheistische Familie integriert und auch dem Kaiser opfert.” Zum Problem wurde der Glaube an einen einzigen Gott, weil er nach den Worten Zuchtriegels dem römischen Eingliederungssystem widerstand. “Für die Römer waren die Christen Integrationsverweigerer.”