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“Anno 117: Pax Romana” ist die neue deutsche Spielehoffnung

Römer oder Kelten – diese Frage stellt sich im neuen Teil der “Anno”-Reihe. Ganz friedlich geht es dabei nicht zu. In der Kurzkritik: The Séance of Blake Manor.

Dass sie Geschichte nicht nur lebendig, sondern auch erlebbar machen können, war schon immer eine der großen Stärken von Videospielen. Die “Anno”-Reihe belegt das seit mehr als 25 Jahren immer wieder. Zuletzt konnte man in “Anno 1800” in die Ära der industriellen Revolution eintauchen. Nun befinden wir uns im Jahr 117, der Hochphase der titelgebenden “Pax Romana”.

“Anno 117” besteht aus verschiedenen Teilen: einer Kampagne, in deren Verlauf wir als Statthalter oder Statthalterin des römischen Kaisers agieren, einem so genanten “Sandbox-Modus”, in dem man nach Herzenslust bauen und expandieren kann, und einem kompetitiven Mehrspielermodus.

Der Spielablauf ist weitgehend identisch: Man erkundet die Topographie der ersten Insel, auf der man gelandet ist, und platziert an deren Küste ein Kontor. Man legt Straßenzüge fest, stampft die ersten Behausungen aus dem Boden, die prompt von Einwohnern in Beschlag genommen werden. Und sofort fehlt es an allem: Nahrung, Kleidung, hier ein Lagerhaus, dort ein Marktplatz. Macht man alles richtig, erklimmen die Schützlinge die nächste Entwicklungsstufe und erheben gleich wieder neue Forderungen. Allerdings ist nicht jeder Rohstoff auch überall verfügbar, was Expansion oder Handel notwendig macht.

Zusätzlicher Reiz kommt durch den Gegensatz zwischen dem klassisch-römischen Latium und dem keltisch-römischen Grenzraum Albion ins Spiel. Bei vielen neuen Errungenschaften gibt es zwei Optionen, die entweder die römische oder die keltische Seite stärken und unzählige Faktoren wie Wirtschaft, Bevölkerungswachstum, Glück oder Glaube beeinflussen. Das dahinterstehende hochkomplexe System macht anschaulich, dass jede noch so kleine Entscheidung ungeahnte Auswirkungen auf das große Ganze haben kann: Vorausschauende Planung wird mit zunehmender Größe immer wichtiger. Man sollte sich nie darauf verlassen, dass Ressourcen unerschöpflich sind.

Tatsächlich muss man irgendwann so viele Zusammenhänge im Auge behalten, dass es fast in Stress ausartet. Belohnt wird man mit wunderschönen, lebendigen Dioramen und Stadtlandschaften von schier unglaublichem Detailreichtum. In den Straßen tobt das Leben, man errichtet Paläste und Viadukte, baut Festungen und Schiffe, die sich alsbald auf die Reise zu neuen Inseln mit neuen Ressourcen und neuen Möglichkeiten machen.

All das kann man zum Glück auch stressfrei genießen, indem man die Spieleinstellungen entsprechend anpasst. Wer etwa keine Lust hat auf kriegerische Auseinandersetzungen, die es im neuen “Anno” nach längerer Pause erstmals wieder gibt, der reduziert Feindkontakte vor Spielbeginn einfach auf ein Minimum. Dann kann man sich darauf konzentrieren, Handel zu treiben, Güter zu importieren, die es auf dem eigenen Terrain nicht gibt, und diplomatische Beziehungen zu seinen Nachbarn zu pflegen.

In vielem ist der Entwickler Ubisoft Mainz den Wünschen der Fan-Community nachgekommen, weshalb es zunächst verwundert, dass die Begeisterung nicht ganz ungeteilt ist. Kritisiert werden Spielabbrüche beim Mehrspielermodus sowie eine während längerer Ladezeiten eingeblendete Grafik, für die wohl Künstliche Intelligenz eingesetzt wurde.

Das wiederum widerspricht dem bodenständigen Image der Mainzer, auch wenn es hier wohlgemerkt nicht um die Spielegrafik selbst, sondern einen Ladebildschirm geht. Das illustriert den extrem hohen Anspruch, der sich mit dem deutschen Studio verbindet, das als eines der wenigen auch international viel Beachtung findet. Dabei sollte man nicht vergessen, mit welchem Aufwand, handwerklichen Können und mit welcher Liebe zum Detail dieses Spiel geschaffen wurde. Wer sich einmal in seinen Bann hat ziehen lassen, der wird sich den Spaß von solch kleinen Schönheitsfehlern, die sicher ohnehin mit einem der nächsten Updates behoben werden, nicht verderben lassen.

Ubisoft/Ubisoft Mainz

Das Spiel ist von der USK ab 12 Jahren freigegeben. Die weitgehend entschärfbaren kriegerischen Auseinandersetzungen sind dabei weniger entscheidend als die Komplexität des Spiels, die jüngere Spieler schnell überfordert.

ja

einstellbar

Windows PC, PlayStation 5, Xbox Series X/S

ab ca. 60 Euro

“Manor Lords” (Slavic Magic, ca. 40 Euro im Early Access über Steam, ab 12 Jahren) ist ein Strategiespiel im mittelalterlichen Stil mit detaillierten Städtebaufunktionen und komplexen wirtschaftlichen und sozialen Simulationen. Der Fokus liegt hier im Gestalten der eigenen Städte und den kriegerischen Auseinandersetzungen.

Privatermittler Declan Ward wird am 29. Oktober 1897 auf das Anwesen der Familie Blake gerufen, um nach der verschwundenen Evelyn Dean zu suchen. Gleich bei der Ankunft im typischen irischen Nieselregen kommt es zu merkwürdigen Ereignissen. Eine in Kutten gehüllte Frau löst sich in Luft auf, und im zum Anwesen gehörenden Hotel begegnet Ward den merkwürdigsten Charakteren.

Obendrein soll am 31. Oktober eine große Séance stattfinden. Bis dahin muss der Fall gelöst sein, was Ermittler wie Spieler unter Zeitdruck setzt. Denn jede Aktion in “The Séance of Blake Manor” kostet Zeit, sei es das Befragen eines der 24 Zeugen oder das Durchsuchen von Räumen. Essentiell ist es daher, sich diese Zeit gut einzuteilen und sich zu überlegen, welche Nachforschungen sich lohnen könnten und welche eher nicht.

Das Spiel besticht durch eine unheilvolle Atmosphäre, knackige Rätsel und ein Design im Stil einer kunstvollen Graphic Novel, die man in der Ich-Perspektive erlebt. Um dem Mysterium von Blake Manor auf die Spur zu kommen, dürfte man insgesamt etwa 30 Stunden Realzeit brauchen. Natürlich wäre es ärgerlich, wenn man es bis dahin nicht schaffen würde, den Umtrieben der Hotelgäste auf die Spur zu kommen. Andererseits trägt das Zeitlimit auch zur Spannung bei. Aufgrund der gelungenen Präsentation macht man sich notfalls auch gerne noch einmal mit wohligem Grusel auf die Suche. Da das Spiel komplett in Englisch ist, sind rudimentäre Sprachkenntnisse Voraussetzung, die man damit allerdings auch gut trainieren kann.

Studio: “The Séance of Blake Manor” , Raw Fury, Plattform: PC (via Steam), Multiplayer: nein, ab 12 Jahren, ca. 20 Euro