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Annäherung zwischen zwei ungleichen Geschwistern

Vom Streit zur Verständigung: Reformierte, Lutheraner und Katholiken machen einen Schritt aufeinander zu

Anna Siggelkow

Jahrhundertelang hassten sich Lutheraner und Calvinisten – die Feindschaft zwischen beiden evangelischen Lagern war oft größer als die zwischen Protestanten und Katholiken. Erst Anfang der 1970er Jahre beendeten lutherische und reformierte Christen nach rund 400 Jahren ihre Auseinandersetzungen und feiern seither gemeinsam Abendmahl. In einem Festakt in Wittenberg gingen jetzt Lutheraner und Reformierte einen historischen Schritt aufeinander zu. Auf dem Weg zu mehr Einheit unterzeichneten sie zwei Ökumene-Erklärungen.
Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen schloss sich zum einen der „Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ an. Das Dokument gilt als Meilenstein der Ökumene. Katholiken und Lutheraner hatten die Erklärung bereits 1999 unterzeichnet. Vertreter von römisch-katholischer Kirche und Lutherischem Weltbund (LWB) hoben darin ihre gegenseitigen Verurteilungen aus der Reformationszeit auf. Später schlossen sich auch Methodisten und Anglikaner der Erklärung an.
In der Rechtfertigungs-Erklärung verpflichten sich jetzt Katholiken, Lutheraner, Methodisten und Reformierte zu weiteren Anstrengungen zu einer vollen Gemeinschaft. In einem zusätzlichen „Wittenberger Zeugnis“ bekräftigen Lutheraner und Reformierte zudem den Ausbau ihrer Zusammenarbeit.
Bis zu dieser Harmonie zwischen Reformierten und Lutheranern war es ein langer Weg. Die seit der Frühzeit der Reformation bestehenden tiefen Gräben zwischen den Anhängern der Reformatoren Luther sowie Calvin und Zwingli sind nur langsam flacher geworden. Im 19. Jahrhundert kam es zu von der Obrigkeit verordneten Vereinigungen lutherischer und reformierter Kirchen zu Unionskirchen – oft gegen den Willen beider kirchlicher Seiten.
Selbst kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs bestand innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland keine Übereinstimmung über die Zulassung zum Heiligen Abendmahl. Wie sich der frühere Braunschweiger Bischof und Ökumene-Experte Friedrich Weber erinnerte, war es in einigen Gegenden bis in die 50er Jahre zudem noch üblich, bei Kirchenneubauten je ein reformiertes und ein lutherisches Gotteshaus – oft in Sichtweite – zu errichten.
Heute dagegen haben nur wenige Kirchengemeinden ein explizit konfessionelles Profil – offensichtliche Unterschiede gibt es vielleicht nur noch zwischen einem evangelisch-lutherischen Gottesdienst in Bayern und einem reformierten Gottesdienst in Ostfriesland. Reformierte Gemeinden legen großen Wert darauf, dass die Kirche nicht allein von Theologen geleitet wird. Die Struktur einer reformierten Kirche ist in der Regel von unten, von der Gemeinde her, aufgebaut, im Gegensatz zu den bischöflich geleiteten Kirchen der Lutheraner.
Für einen Kontrast sorgen auch die Urväter von Lutheranern und Reformierten: Im Gegensatz zum barock wirkenden Wittenberger Reformator Luther wurde Calvin auf Gemälden stets hager und streng als Asket dargestellt. Die Schlichtheit der gottesdienstlichen reformierten Feiern spiegelt sich im Kirchensaal, betont der Reformierte Bund in Deutschland. Das biblische Bilderverbot werde sehr ernst genommen: „Die meisten reformierten Gemeinden lehnen Bilder in den Kirchen ebenso ab wie Kerzen oder Kruzifixe. In vielen Kirchen hängt einzig ein schlichtes Kreuz.“
Heute gehören dem Lutherischen Weltbund über 74 Millionen Christen an. Die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, die jetzt in Leipzig tagte, repräsentiert rund 80 Millionen reformierte Christen.