Beleidigungen, körperliche Angriffe, Bedrohungen – für Ärzte und Pflegepersonal ist das immer mehr ein Teil des Alltags. Der Chef der Bundesärztekammer fordert mehr Sicherheit vom Staat. Aber auch Kliniken werden aktiv.
“Arztpraxen und Krankenhäuser sind Orte der Genesung und des Vertrauens. Für die dort Beschäftigten sind sie mitunter aber auch echte Gefahrenzonen.” Eindringlich fordert der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, am Dienstag mehr Schutz für medizinisches Personal in Kliniken und Praxen sowie für Rettungsdienste und Feuerwehrleute.
Krankenhäuser sind offenbar immer häufiger Schauplatz von Übergriffen und Gewalt. Erst am Montag war ein Arzt in der Düsseldorfer Uniklinik von einem 34-jährigen Deutschen mit einem Messer bedroht worden, dem die Aufnahme verweigert worden war. Ende Januar wurde ein Hausarzt in seiner Praxis im nordrhein-westfälischen Spenge von einem Patienten bewusstlos geschlagen. Und im September griffen Besucher des Essener Elisabeth-Krankenhauses das Personal an, nachdem ein zuvor in die Notaufnahme eingelieferter Patient gestorben war. Die Familie stürmte und verwüstete das Behandlungszimmer, insgesamt sechs Klinikmitarbeiter wurden verletzt.
Solche Fälle häufen sich. “Ganz offensichtlich ist die Hemmschwelle für Gewalttaten gesunken”, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, kürzlich im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die meisten Vorfälle gebe es in den Notaufnahmen der Krankenhäuser. “Wegbrechende niedergelassene Versorgung und fehlende Patientensteuerung sorgen dort für teilweise extrem lange Wartezeiten.” Das führe zu Frust und Aggression, vor allem bei denen, die nicht verstünden, dass in der Notaufnahme nicht der als erstes behandelt werde, der zuerst gekommen sei.
Konkrete Zahlen gibt es nicht. Umfragen des Deutschen Krankenhaus-Instituts aus 2023 und 2024 ergaben, dass drei von vier Krankenhäusern steigende Zahlen von Übergriffen verzeichneten. “In 91 Prozent der Krankenhäuser gab es bereits Übergriffe in den Notaufnahmen, weit überwiegend ist der Pflegedienst betroffen”, sagte Gaß. Hinzu komme, dass wahrscheinlich viele minderschwere Fälle, vor allem verbale Gewalt, gar nicht angezeigt würden. Auch Reinhardt verwies auf eine wachsende Bedrohung des medizinischen Personals: “Fast die Hälfte aller niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte und ihrer Praxisteams war in den letzten fünf Jahren bei der Ausübung ihres Berufs mit körperlicher Gewalt konfrontiert.”
Gegenmaßnahmen sind heikel, aber auch teuer. Die Krankenhäuser sichern sich immer häufiger durch Sicherheitsdienste, bauliche Sicherheitsvorrichtungen, Besetzung von Schichtdiensten mit kräftigen Pflegern oder durch Deeskalations- und Selbstverteidigungskurse ab. Auch Videoüberwachungen in allgemeinen Aufenthaltsbereichen von Krankenhäusern nähmen zu, sagte Gaß.
Für Aufsehen sorgte im November das Klinikum Dortmund, das noch einen Schritt weitergehen will: Das Klinik-Personal könnte dort künftig mit Bodycams ausgestattet werden. Man stehe mit diesen Überlegungen aber noch ganz am Anfang und lasse sich juristisch beraten, teilte Pressesprecher Matthias Lackmann der KNA mit. “Wir wollen testen, ob die Bodycams die gleich deeskalierende Wirkung haben, wie sie sich bei Polizei und Ordnungsdienst der Stadt zeigt.”
Die Kameras sollten vor allem im Empfangsbereich der Notaufnahmen zum Einsatz kommen. “Eingeschaltet werden die Kameras ausschließlich in eskalierenden und nicht in vertraulichen Situationen oder während einer medizinischen Behandlung”, versichert der Pressesprecher. Laut Gaß wäre das Klinikum Dortmund das erste Krankenhaus in der Bundesrepublik, das solche Maßnahmen ergriffe.
Ärztepräsident Reinhardt forderte unterdessen von Bund, Ländern und Kommunen einen ganzen Strauß von Maßnahmen. Angriffe müssten stärker und schnell bestraft werden, sagte er der Düsseldorfer “Rheinischen Post” (Mittwoch). Kommunen müssten bei Bedarf private Sicherheitsdienste für Notaufnahmen in sozialen Brennpunkten finanzieren. Wo erforderlich, sollte auch die Polizei in den Kliniken und auf dem Klinikgelände stärker Präsenz zeigen. Zugleich forderte der Ärztepräsident, Gewaltdelikte konsequent und unmittelbar zu ahnden. Notwendig sei ein Meldesystem: Auf Onlineplattformen sollten die Betroffenen derartige Fälle unkompliziert melden können.