An Pilgerstätten im Heiligen Land herrscht kriegsbedingt Leere

Leer wie seit Corona nicht mehr: So präsentieren sich heilige Orte wie Jerusalem oder Bethlehem den wenigen Besuchern. Der Krieg hat ein Besucherjahr auf Rekordkurs abrupt gestoppt – mit dramatischen Folgen.

Das Grab ist leer, der Platz davor auch: Ersteres ist einer der zentralen christlichen Glaubenssätze. Letzteres Ausnahmezustand. Zumindest wenn es um das Grab Christi in der Grabeskirche vor Ostern geht. Doch der anhaltende Krieg im Gazastreifen sorgt in diesem Jahr in der vorösterlichen Hochsaison für leere Gassen und geschlossene Geschäfte in der Jerusalemer Altstadt – und für Sorgenfalten bei jenen, die von ausländischen Besuchern leben. Das Bild in Bethlehem ist wenig anders.

Die Zahlen des israelischen Tourismusministeriums und des franziskanischen Pilgerbüros sprechen eine ähnliche Sprache: Besucherandrang und Gottesdienstbuchungen in den ersten neun Monaten 2023 ließen auf ein gutes, vielleicht sogar rekordverdächtiges Jahr schließen. Seit dem Angriff der islamistischen Hamas vom 7. Oktober aber kommen kaum noch ausländische Touristen und Pilger. Statt wie im Vorjahr 4.500 reservierten für die Hochsaison – März bis Mai – gerade einmal 300 Gruppen einen Gottesdienst an einer heiligen Stätte, sagt die zuständige Franziskanerschwester im Jerusalemer Christian Information Center (CIC), Naomi Zimmermann.

„Finanziell katastrophal“ sind die Auswirkungen nach Worten des Abtes der deutschsprachigen Benediktiner, Nikodemus Schnabel. Sowohl die Dormitio-Abtei auf dem Zionsberg als auch das Kloster Tabgha am See Genezareth sind beliebte Pilgerorte – und Arbeitsplatz für viele einheimische Christen. Für diese Menschen trage die Gemeinschaft Verantwortung, sagt Schnabel. Die Entscheidung des Abtes und seiner Mitbrüder, „keinen einzigen Mitarbeiter“ zu entlassen, gehe monatlich mit „einem höheren fünfstelligen Eurobetrag Verlust“ einher – und an die „harten Reserven“.

Der Generalsekretär des Deutschen Vereins vom Heiligen Lande (DVHL), Matthias Vogt, teilt die Sorge Schnabels. Die DVHL-Gästehäuser in Tabgha und Jerusalem seien „zwar geöffnet, aber die meiste Zeit sind dort leider nur vereinzelt Gäste“. Dabei wäre eine Pilgerreise ins Heilige Land in dieser Zeit für die einheimischen Christen „ein besonderes Zeichen der Solidarität“.

Noch bleibt dieses Zeichen mehrheitlich aus. Aus Deutschland etwa, sagt Naomi Zimmermann, hätten seit Jahresbeginn gerade einmal sechs Gruppen einen Gottesdienst an einer heiligen Stätte gebucht, knapp 80 Personen.

Wer trotz Krieg komme, kenne das Land bereits von früheren Besuchen und wisse, „dass es nicht überall gefährlich ist“, erklärt der deutsch-israelische Historiker und Reiseleiter Uriel Kashi. Anders als viele Kollegen hat Kashi in den vergangenen Wochen „ein paar Delegationen und vereinzelt Familien“ geführt. Oder Menschen, die nach dem 7. Oktober nach Israel kamen, um als Freiwillige mitanzufassen, und dazwischen touristische Tagestouren gemacht haben. „Was die Menschen sagen, wenn sie hier sind, ist, dass zwar keine vollständige Normalität herrscht, sie sich aber auch nicht gefährdet gefühlt haben und man durchaus herkommen kann.“

Auch Suhail Khouri hat die Gläubigen seiner Pfarrei wie jedes Jahr in der Fastenzeit nach Jerusalem gebracht, um gemeinsam den Kreuzweg entlang der Via Dolorosa zu beten. „Jerusalem hat sich seit Anfang Oktober sehr verändert“, sagt der melkitische Pfarrer von Nazareth: „Oft sind wir sonst nicht einmal in die Grabeskirche reingekommen, weil es so voller Menschen war.“

Jetzt sind die Gassen der Altstadt leer, viele Geschäfte geschlossen, und selbst vor der Grabkapelle herrscht kein Andrang. Freude darüber, die wichtigste Kirche der Christenheit beinahe für sich zu haben, kommt bei dem Priester und seinen Gläubigen aber nicht auf. „Mein Herz ist traurig für die vielen Menschen, die wegen des Kriegs nicht kommen können. Ich hoffe, es wird bald Frieden kommen“, sagt Khouri.

Beten für den Frieden, das tut auch Youssef, obwohl er „mit Kirche nicht so viel am Hut hat“. Es habe auf beiden Seiten schon viel zu viele Opfer gegeben, sagt der orthodoxe Christ, der in Familientradition ein Ikonengeschäft unweit der Grabeskirche führt. Der Laden ist offen, auch wenn fast keine Kunden da sind: „Für die Luftveränderung, und um meine Nachbarn zu sehen“. Statt Kunden zu beraten, raucht Youssef in der leeren Straße vor seinem Geschäft Wasserpfeife. Ein paar Meter weiter haben sich Ladenbesitzer zum Kartenspiel zusammengefunden.

Im DVHL ist man stolz und dankbar, dass trotz der schwierigen Umstände die Sozial- und Bildungsarbeit weiterläuft. Alle Mitarbeitenden mit Ausnahme der jugendlichen Freiwilligen seien vor Ort, sagt Vogt.

Ließe sich der Schrecken über das Geschehen im Land ausblenden, ließen sich sogar positive Aspekte verzeichnen, ergänzt Schnabel. Die Mönchsgemeinschaft habe angesichts der Krise „neu Ja gesagt, hier zu leben“, statt die Koffer zu packen, und auch die allermeisten Studierenden seien geblieben. Die Krise habe die Gemeinschaft enger mit den Menschen im Land verwurzelt und ökumenische wie interreligiöse Kontakte befördert – so sehr, dass man „gestärkt“ und „wesentlicher“ daraus hervorgehen werde.

Doch weder die Freude über diese gestärkte Vernetzung noch über den Platz an den heiligen Stätten kann die im Land lebenden Christen über die Folgen des 7. Oktober hinwegtäuschen. In diesem Krieg, so Schnabel, „gibt es nur Verlierer“.