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An Heiligabend in den Zirkus – und zur Christmette unterm Zelt

In den Zirkus am Heiligabend? Bestimmt ein schickes Event… Aber was ist dann mit der Christmette? – Da hilft nur eins: beides an einem Ort erleben. Das geht – und sogar mit einem Bischof als einstigem Pferdepfleger.

Marie-Armelle Beaulieu staunte nicht schlecht, als sie an dem Ort eintraf, wohin ihre Schwester sie per GPS-Koordinaten am Heiligabend einbestellt hatte. “Wir verbringen den Weihnachtsabend dort”, hieß es. Und die Journalistin, die nur ausnahmsweise mal wieder zu Weihnachten in Frankreich war, freute sich – zumal ihre Schwester gut darin ist, Überraschungen zu organisieren.

Und das war es tatsächlich am Treffpunkt Bois de Bologne, vor den Toren von Paris: eine Überraschung. Denn dort stand Marie-Armelle vor einem Zirkuszelt. Bald trafen auch die Söhne der Schwester ein; zwei junge Männer um die 25, die eigentlich froh waren, der Weihnachtsmesse entkommen zu sein. Man setzt sich – und dann teilt Maries Schwester mit: Die Messe gibt es nach der Zirkusvorstellung – direkt vor Ort!

Zirkus in Paris mit anschließender Christmette – das gibt es schon zum 45. Mal. Und das kam so: In den 70er Jahren war Zirkusdirektor Alexis Gruss an Heiligabend immer ein bisschen traurig, als er nach der Weihnachtsvorstellung keine Christmette mehr für sich fand. Seine Idee: Für 1980 fragte er einen befreundeten Priester, ob der nicht in seinen Zirkus käme. Er kam – und es wurde eine jahrzehntelange Tradition daraus. Bis zu 3.000 Menschen kommen zur Messe unter dem Zirkuszelt; die “größte Christmette nach Notre-Dame”, und die “bunteste der Île de France”, wie das Unternehmen stolz plakatiert.

In diesem Jahr gibt es noch einen besonderen Clou: Ein früherer Pferdepfleger kehrt zurück – als Bischof. Étienne Guillet, jüngster Diözesanbischof Frankreichs, machte einst ein Praktikum im Zirkus Gruss. “Viele meiner Mitschüler gingen dafür in die Firma ihrer Eltern”, berichtet der heute 49-Jährige. “Ich hatte die Idee, bei der Gelegenheit meinen Kindertraum wahrzumachen: eine Zeit im Zirkus zu verbringen.”

Und so erlebte Guillet 1992 “zehn unglaubliche Tage”, die er heute zu den prägendsten seiner Jugend zählt: vom frühen Morgen bei den Pferden bis zur Abendvorstellung. Guillet war im gleichen Alter wie die Söhne des Direktors, wurde quasi Teil der Familie; “einer Welt von harter Arbeit und Beharrlichkeit, von Streben nach Perfektion und Schönheit”, wie er beschreibt. Er fühle “riesige Dankbarkeit für die Familie Gruss”; und nun als Bischof zu Weihnachten unter ihr Zelt zurückzukehren, erfülle ihn mit großer Freude.

Bei den Teilnehmern hinterlässt die Weihnachtsmesse ebenfalls tiefen Eindruck. Marie-Armelle Beaulieu: “Der Zirkus hatte uns schon verzaubert. Und die Messe mit den vielen Kerzen im weiten Rund war dann schlicht und einfach prächtig.” Sie ist überzeugt: “Dass wir uns in einem Zirkuszelt befanden, wo wir uns gegenseitig sehen konnten, während wir zum Altar schauten, machte es möglich, die Messe wie in einer Großfamilie zu erleben, in der wir uns letztlich noch mehr verbunden fühlten.”

Und eine andere Besucherin, Sophie Trésarrieu, erinnert sich: “Wir haben zwei Kinder, Henri und Jeanne. Sie sind heute acht und zehn Jahre alt. Als wir zum ersten Mal mit ihnen die Weihnachtsmette feierten, waren sie noch sehr klein, vielleicht drei und fünf.” Sie hatten zufällig in der Zeitung “Le Parisien” von der ungewöhnlichen Messe erfahren.

“Wir gingen mit einer Freundin hin, die nicht sehr gläubig ist. Sie freute sich, Heiligabend mit uns zu verbringen, aber hatte nicht den Mut oder die Lust zu einer klassischen Messe.” Außerdem hofften sie, dass es kein Problem wäre, wenn die Kinder etwas lauter würden oder sich bewegen oder in ihren Armen schlafen wollten. “Und noch mehr hofften wir, dass sie von der Szene fasziniert sein könnten – und so war es dann auch.”

Vor zwei Jahren gingen sie alle wieder hin. Und wieder war es “ein großartiges Erlebnis; ein Tag voller Freude: eine Liturgie, die von engagierten Künstlern gestaltet wird, die das Heilige achten, aber entschlossen sind, daraus ein ebenso geistliches wie ein gemeinschaftliches Ereignis zu machen; mit professionellen Lichtspielen. Geistlichen, einem Gastchor, Künstler-Schauspielern – und dem Publikum: Alle machen mit!”

Das Fazit von Sophie Trésarrieu: “Zwei Stunden außerhalb jeder Zeit. Das ist, was wir im Moment so dringend brauchen. Volksreligion in seiner besten Form.” Menschen brauchten Orte wie diesen, so glaubt sie, “mitten im Leben der Zirkuskünstler – um wieder Anschluss an ein spirituelles Leben zu finden”. Das Herz bei Gott, die Hände zu ihren Nachbarn ausgestreckt: “vielleicht auch für Menschen, die durch die Institution Kirche verletzt wurden – aber dennoch eine Verbindung zu ihr halten und vor allem feiern möchten”.