Amen. Das ist wahr

Über den Predigttext zum 10. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 5, 17-20

Predigttext
17 [Jesus spricht:] Denkt nicht, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten abzuschaffen. Ich bin nicht gekommen, um sie abzuschaffen, sondern um ihnen volle Geltung zu verschaffen. 18 Amen! Denn so sage ich es euch: Bis der Himmel und die Erde zu ihrem Ende kommen, wird weder der kleinste Buchstabe noch ein Pünktchen des Gesetzes zu seinem Ende kommen, bis alles geschehen ist. 19 Wer auch immer nur eines der kleinsten Gebote abschafft und lehrt die Menschen dies, er wird im Himmelreich der Kleinste genannt werden. Wer es aber tut und lehrt, der wird im Himmelreich groß genannt werden. 20 Denn ich sage euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht die der Schriftgelehrten und Pharisäer übertrifft, werdet ihr nicht in das Himmelreich eintreten. (Eigene Übersetzung)

Amen! Mit diesem Wort schließen wir jedes Gebet ab. Amen, das heißt: „Es werde wahr!“ So wünschen wir es. So bekräftigen wir es. Amen! – Im Gottesdienst ist das die Antwort auf Gebete und Segen.

Mit Amen beenden wir auch das Glaubensbekenntnis und stimmen all dem Gesagten zu: „Das ist wahr und gewiss!“

Wozu wir da „Ja und Amen“ sagen, versteht sich dabei nicht von selbst. „Amen“ – „Es werde wahr!“ ist kein „Wahr“ im mathematisch-logischen Sinne. Es ist kein „Richtig!“, als wenn die Kandidatin in der Quizshow die richtige Antwort auf die Eine-Million-Euro-Frage gibt. Amen, das ist die Antwort auf Grenzaussagen, die nicht beweisbar sind, aber im Glauben mit Gewissheit angenommen werden.

Das „Amen“ als Bestätigung

Auch im Predigttext für diesen Sonntag bestätigt Amen eine Aussage, die alles andere als selbstverständlich ist. Dabei bleibt unklar, ob das Amen den ersten Satz des Textes bestätigt oder ob es auf die Gültigkeit des anschließenden Satzes hinweist. (Die Einteilung in Verse ist nicht ursprünglich und geschah erst im Laufe der Zeit.) Umstritten war und ist oft immer noch die erste wie die zweite Aussage unseres Predigttextes.

Die Frage, um die es letztlich geht, ist: Welche Bedeutung hat das Alte oder Erste Testament für Christinnen und Christen? „Gesetz“ ist dabei mehr als die Summe der Gebote und Verbote, es bezeichnet die Tora, die fünf Bücher Mose. „Gesetz und Propheten“, das ist quasi eine Kurzformel für die heiligen Schriften, die wir das Alte Testament nennen.

Jesus sagt es ganz klar: Ich schaffe das Alte Testament nicht ab, sondern bestätige es, bringe es zur vollen Geltung. Das Alte Testament hat Bestand – auch für uns Christinnen und Christen. Das ganze Alte Testament, nicht nur die Psalmen oder ausgewählte Texte.

Jeder Buchstabe, jedes Häkchen, jeder Punkt: Teil unserer Bibel! Auch die Listen der Ahnen, der Tempelgegenstände, der Opferregelungen? Ja, auch diese! Auch jene Stellen, die uns wegen ihrer Brutalität abschrecken? Ja, auch diese!

Damit erhebt sich sofort die nächste Frage: Was bedeutet das für uns? In welcher Weise beansprucht das Erste Testament Geltung für uns?

Auf diese Fragen gibt es mehrere Antworten. Zum einen verstehen wir das Neue Testament und unseren Glauben nicht ohne das Alte Testament. Das Alte Testament ist aber nicht einfach nur eine Vorgeschichte des Lebens und der Taten Jesu Christi. Es ist zum anderen keine Negativfolie, gegen die sich das Christentum mit Glanz und Gloria abhebt.

Gnädiger Gott in beiden Testamenten

Der Gott, der uns im Ersten Testament begegnet, ist kein anderer Gott als der des Zweiten Testaments. Er ist der Vater Jesu Christi, „gnädig, barmherzig, geduldig und von großer Güte“, wie es mehrfach in den Schriften des Ersten Testaments heißt.

Wie gehen wir aber mit jenen Stellen um, die sich um Opfer und Kultfragen drehen? Wie mit jenen, die die Todesstrafe erlauben und von Gottes Rache sprechen? Das sind genau die Fragen, mit denen sich Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten beschäftigen – und dabei unterschiedlichste Antworten gefunden haben.

Gerade bei der Frage nach den dunklen Stellen in der Bibel stehen wir nicht allein da, sondern befinden uns mit dem Judentum in einer Weg- und Lerngemeinschaft. Voraussetzung dafür ist, dass wir Jüdinnen und Juden nicht als Gegner des Christentums, sondern als Schwestern und Brüder Jesu anerkennen.

Gott hat „Kirche und Israel gemeinsam zu seinen Zeugen und zu Erben seiner Verheißung“ gemacht, heißt es in der Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen.

Daran lasse ich mich gerne jedes Mal erinnern, wenn ich jenes hebräische Wort ausspreche, das wir vom Judentum übernommen habe und mit dem auch diese Andacht endet: Amen!