Als Millionen Menschen gegen die Blockade kämpften

Zur Jüdischen Gemeinde Kiel gehören sieben Menschen, die in ihrer Kindheit die Unmenschlichkeit Hitlers in Leningrad erlitten haben. Zum Beispiel Ilja Zuckermann. Im Kieler Flandernbunker widmet sich nun eine Ausstellung auch seiner Lebensgeschichte.

Ilja Zuckermann (86) zeigt eine Tafel der Leningrad-Ausstellung im Kieler Flandernbunker
Ilja Zuckermann (86) zeigt eine Tafel der Leningrad-Ausstellung im Kieler FlandernbunkerNadine Heggen / epd

Kiel. Der Kieler Flandernbunker zeigt eine Ausstellung über die Blockade Leningrads im Zweiten Weltkrieg. Zu seinen schlimmsten Erinnerungen gehöre der Geruch verbrannten Zuckers der Lebensmittellager während der Bombenangriffe, sagte der russische Arzt Ilja Zuckermann bei der Vorstellung der Ausstellung, die bis Mitte April zu sehen ist. Der 86-Jährige lebt inzwischen in Kiel. Er hatte die Hunger­blockade der Nationalsozialisten Anfang der 1940er-Jahre als Siebenjähriger in Leningrad überlebt.

Die Blockade Leningrads durch die Nazis dauerte vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944. Schon zu Beginn des Oktobers 1941 begann die Hungersnot. Lebensmittelkarten wurden ausgegeben. Die Einheimischen kämpften um ihr Überleben, zuerst aßen sie die Tiere, schließlich auch die Toten. Eine Million Menschen starben an Hunger und Kälte – etwa die Hälfte der Stadt­bevölkerung.

„Es wird zu wenig darüber gesprochen“

„Ich kann mich an vieles erinnern. Es war schrecklich“, sagte Zuckermann und deutete auf eine Bildtafel in der Ausstellung. Sie zeigt die Lebensmittelabgabe während der Hungerblockade durch die Nazis. 125 Gramm wurden an Kinder ausgegeben, 250 Gramm an Arbeiter.

Nach einem Bombenangriff auf Leningrad im Winter 1941/42 suchen die Menschen Schutz
Nach einem Bombenangriff auf Leningrad im Winter 1941/42 suchen die Menschen SchutzAkg images/epd-bild

Zuckermann kritisierte, dass über die bestialische Belagerung Leningrads, dem heutigen St. Petersburg, zu wenig in den Schulen gesprochen werde. Deshalb müssten es die wenigen Überlebenden tun, sagte er. Der Jüdischen Gemeinde in Kiel gehören außer ihm noch sechs weitere Überlebende der Leningrader Blockade an. Weltweit sind es noch einige Tausend. Am Kragen seines Jacketts trägt Zuckermann eine kleine, runde Plakette mit der Leningrader Stadtsilhouette. Das Abzeichen wurde jedem Überlebenden verliehen. Es sei seine wichtigste Medaille, so Zuckermann.

Installation im Zentrum der Ausstellung

In der Ausstellung „Niemand wird vergessen und nichts wird vergessen“ sind Bilder von ausgemergelten Menschen und Leichenbergen zu sehen. Die Texte sind auf Russisch und Deutsch. Im Zentrum der Schau steht eine Raum-Klang-Installation der Kunststudentin Roma-Nastasia Nebel von der Muthesius Kunsthochschule Kiel.

Warum Zuckermann in Deutschland lebt

Besonders schlimm seien auch die Lager rund um Leningrad gewesen, in denen die Nazis russische Kinder hielten, so Zuckermann. Um die Soldaten an der Front zu versorgen, wurde den Kindern Blut abgenommen – so lange, bis sie schließlich starben. Zuckermann selbst hatte Glück: Mit seiner Kindergartengruppe wurde er 1942 in ein kleines Dorf evakuiert. Später machte er in Russland Abitur, studierte Medizin und wurde Onkologe.

Dass er seit 1996 ausgerechnet in Deutschland lebt, ist laut Zuckermann Zufall. Bei seiner Arbeit in der Krebsforschung verbrannte er sich die Augen. In Russland habe man ihm nicht helfen können, wohl aber in Kiel. Nach drei Operationen könne er wieder gut sehen und brauche keine Medikamente mehr. Zuckermann: „Dafür bin ich sehr dankbar.“

Info
Die Ausstellung im Flandernbunker, Kiellinie 249, soll voraussichtlich bis zum 17. April geöffnet sein, täglich zwischen 10 und 17 Uhr. Der Eintritt kostet 4 Euro, ermäßigt 3 Euro. Weitere Informationen gibt es hier.