„Aktuell. Kontextuell. Geschlechterbewusst. In traditionellen Räumen neue Wege gehen!" So ist ein neues Fernstudium Theologie überschrieben, das im September startet (nähere Informationen im Kasten unten). Theologie zu treiben sei seit Luthers Idee vom Priestertum aller Gläubigen nicht nur eine Sache der Gelehrten, sondern aller Christinnen und Christen, meinen die Veranstalterinnen und Veranstalter. Über Hintergründe und Ziele des Angebots sprach Annemarie Hei-brock in Schwerte mit Diana Klöpper vom Frauenreferat der Evangelischen Kirche in Westfalen (EKvW) und EKvW-Männerpfarrer Martin Treichel.
• Gerade erst ist die feministische Theologie bei den Kirchenmenschen angekommen, da starten Sie ein Fernstudium Theologie, das „geschlechterbewusst“ sein soll. Wie ist das nun zu verstehen?
Treichel: Das ist sicherlich kein Abschied von der feministischen Theologie, es ist vielmehr eine Weitung des Blicks. Es geht um die spezifische Sicht von Männern und Frauen auf theologische Fragestellungen.
Klöpper: Die feministische Theologie, das sollte man vielleicht an dieser Stelle ergänzen, ist ja keine theologische Disziplin neben anderen – etwa Altem und Neuem Testament, Dogmatik oder Ethik. Sie umfasst alle Disziplinen. Sie hat Theologie aus der Perspektive von Frauen neu durchbuchstabiert und so zum Beispiel deutlich gemacht, dass die Botschaft der Bibel eine Fülle an Rollenbildern für Frauen und Männer bietet…
• Die Männer können sich über mangelnde Wertschätzung und Beachtung in der Theologie-Geschichte doch nun wahrlich nicht beklagen. Warum also brauchen wir diese neue männliche Sicht?
Treichel: In der Vergangenheit haben sich die männlichen Theologen ja gar nicht bewusst gemacht, dass sie als Männer gearbeitet haben. Das soll jetzt anders werden.
• Daraus ergibt sich trotzdem die Frage an die Theologin: Besteht nicht wieder die Gefahr einer männlichen Dominanz?
Klöpper: Das glaube ich nicht. Frauen haben – auch durch die feministische Theologie – ein neues Selbstbewusstsein gewonnen. Sie haben den Platz, den sie schon immer in der Kirche haben, theologisch begründet eingenommen. Das ist gut so. Und zugleich hatte der Weg offenbar für andere manchmal auch etwas Ideologisches und Ausgrenzendes. Im Fernstudium sehe ich eine Chance, jenseits von vermeintlichen ideologischen Gräben gemeinsam mit den Männern zu denken.
• Also Friede, Freude, Eierkuchen zwischen den Geschlechtern?
Klöpper: Keineswegs! Aber ich nehme wahr, dass mich mit manchen Männern mehr verbindet als mit manchen Frauen. Die feministische Theologie war eine Befreiung für die Frauen. Auch für mich. Durch die feministische Theologie ist mir persönlich deutlich geworden, dass ich einen berechtigten Platz in der Kirche habe, dass mir mein Platz nicht von Männern zugestanden wird – weil man das im 20. und 21. Jahrhundert halt so macht. Ich persönlich möchte auch Räume haben, in denen ich zusammen mit Männern weiterdenken kann.
• In der Information zum Studiengang heißt es, es sei Zeit, kontextuell zu denken. Können Sie das mit Inhalt füllen?
Treichel: Vor allem heißt das, dass wir die Theologie betreiben wollen vor dem aktuellen gesellschaftlichen und politischen Hintergrund. Die Theologie ist doch eine Wissenschaft, die sich immer wieder neu durchbuchstabieren muss…
Klöpper: …denn die Kirche ist ja Teil der jeweiligen Gesellschaft, in der sie sich befindet. Ist die Gesellschaft im Wandel, sind auch Theologie und Kirche im Wandel. Wir müssen immer wieder neu fragen, was das, was wir tun, mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Es gibt nur wenige ewige Wahrheiten. Theologie muss sich immer wieder neu in die Zeit einpassen – ich betone einpassen, nicht dem Zeitgeist anpassen.
• Geht es bei dem Fernstudium auch um persönliche Spiritualität?
Treichel: Die Orte, an denen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer treffen werden, haben eine spirituelle Ausstrahlung. Es ist uns auch klar, dass die Menschen ihre eigene Persönlichkeit einbringen. Nur soll das nicht im Vordergrund stehen. Der Studiengang will in erster Linie Wissen vermitteln.
Klöpper: Ja, es geht nicht um individuelle Spiritualität, die das Ziel der Selbstfindung oder ‚persönlichen Erleuchtung‘ hat, sondern um biblische Spiritualität, die in Gemeinschaft gelebt wird, in deren Zentrum die Bibel steht und die Auswirkungen auf unser Handeln in der Gesellschaft hat.
• Welche Zielgruppen haben Sie ins Visier genommen? Es gibt ja inzwischen viele Frauen in der Kirche, die ihre eigenen – weiblichen – Zugänge zur Bibel, zum Glauben suchen. Das Interesse am Fernstudium feministische Theologie vor einigen Jahren war groß. Erwarten Sie jetzt einen ebensolchen Zuspruch auch von männlicher Seite?
Treichel: Die Männer werden uns sicherlich nicht in großen Scharen die Türen einrennen. Schon allein deshalb, weil das Fernstudium ein Format ist, das einen hohen zeitlichen Aufwand erfordert. Aber wir hoffen auf Männer, die neue Orientierungen, andere Lebensziele und interessante Perspektiven entdecken wollen und die im Studium eine Möglichkeit sehen, ihre Einstellungen zu Sinn- und Lebensfragen noch einmal „nachzuschärfen“.
• Stichwort „suchen“: Auch die feministische Theologie war Ergebnis einer Art Suchbewegung von Frauen, denen in ihrer Kirche etwas fehlte. Gibt es das inzwischen auch bei Männern?
Treichel: Ja, aber nicht in gleicher Intensität wie bei den Frauen. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir einige der Männer, die auf der Suche sind, in unserem Studiengang treffen werden.
Klöpper: Ich nehme wahr, dass es in der Kirche eine Verletzungsgeschichte zwischen Frauen und Männern gibt. Manchmal habe ich den Eindruck, dass alte Schuldzuweisungen von Frauen an Männer, und auch von Männern an Frauen, uns am Weitergehen hindern: Ich begegne Männern, die das Gefühl haben, als müssten sie für alle Ungerechtigkeiten des Patriarchats persönlich haften und die zugleich sagen: „Auch ich fand das klassische Rollenbild nicht einfach gut!“ Über solche Dinge käme ich gerne ins Gespräch.
• Welche Bibel wird die Grundlage der Arbeit im Fernstudium sein?
Treichel: Wir wollen versuchen, die verschiedenen biblischen Gottesbilder deutlich werden zu lassen und uns einer gerechten Sprache zu bedienen. Gott ist nicht nur „der Herr“, aber auch nicht nur „die Göttliche“. Dafür werden wir sicherlich die „Bibel in gerechter Sprache“ einsetzen. Aber das wird nicht die einzige Bibel sein, mit der wir arbeiten
• Was wünschen Sie sich: Was soll der Gewinn sein, mit dem die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Studiengang abschließen?
Klöpper: Wir möchten die Frauen und Männer nicht zu irgendetwas machen. Wir möchten sie auch nicht umkrempeln, wir würden uns freuen, wenn sie am Ende des Studiengangs sagen, dass sie dort sowohl geistige als auch geistliche Nahrung gefunden haben. Es gibt keine Lernziele, es gibt Lernchancen. Aber davon jede Menge.
Treichel: Übrigens auch für uns. Wir sind sicher, dass wir selbst verändert aus diesem Kurs hervorgehen werden.
