Als die Welt nach Deutschland schaute

Diese Tage sind in die Geschichte eingegangen: Zehntausende Flüchtlinge trafen Anfang September 2015 in München ein und wurden willkommen geheißen. Kanzlerin Merkel sagte ihren inzwischen berühmten Satz.

Hunderte Freiwillige versorgten die Flüchtlinge am Bahnhof München
Hunderte Freiwillige versorgten die Flüchtlinge am Bahnhof MünchenThomas Lohnes / epd

München. Der Sommer 2015 ist in die bundesdeutsche Geschichte eingegangen: In den ersten Septembertagen kamen Zehntausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach München. In der bayerischen Landeshauptstadt herrschte Ausnahmezustand: Polizei und freiwillige Helfer arbeiteten Tag und Nacht Hand in Hand, um die Flüchtlinge zu registrieren und mit Essen, Trinken und Hygieneartikeln zu versorgen. Dazu kamen zahlreiche Münchner, die die Flüchtlinge mit Beifall und Willkommensplakaten begrüßten. Die Bilder vom Hauptbahnhof und der deutschen Willkommenskultur gingen damals um die Welt.

Journalisten aus aller Welt berichteten damals vom Hauptbahnhof: Die „New York Times“ etwa schrieb anerkennend, dass Deutschland den Flüchtlingen „eine offene Hand ausgestreckt hatte“, als kein anderes Land diese Menschen aufnehmen wollte. CNN zeigte Bilder eines Polizisten, der einem Flüchtlingsjungen seine Polizeimütze aufgesetzt hat. Und Al-Dschasira berichtete, dass „Deutschland seine Türen und Grenzen geöffnet hat für all die, die Zuflucht und einen sicheren Hafen suchen“. In München hätten so viele Menschen Essen und Kleidung gespendet, dass die Polizei einen Spendenstopp verhängen musste, berichtete der arabische Nachrichtensender fast schon ungläubig.

Die Rolle Ungarns

Dass die Welt in diesen Tagen auf München blickte, lag auch an Ungarn: Ende August saßen dort Tausende Flüchtlinge in Budapest fest – ihr Sehnsuchtsort: Deutschland. Ungarn ließ sie zunächst wegen der geltenden Dublin-Regelung, wonach Flüchtlinge sich in dem Land registrieren mussten, wo sie zuerst EU-Boden betreten haben, nicht weiterreisen. Doch Ministerpräsident Viktor Orbán machte schnell klar, dass er keine muslimischen Flüchtlinge in seinem Land wollte, und erlaubte ihnen schließlich doch die Weiterreise. Gleichzeitig baute er einen Grenzzaun zu Serbien, um die Balkan-Route durch Ungarn dichtzumachen.

Syrische Flüchtlinge bekommen nach der Ankunft in München am Hauptbahnhof eine Mahlzeit
Syrische Flüchtlinge bekommen nach der Ankunft in München am Hauptbahnhof eine MahlzeitLuka Barth / epd

Am 31. August kamen die ersten nur mit Flüchtlingen besetzten Züge in München an. Zugleich machen sich Tausende Flüchtlinge zu Fuß auf den Weg. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) entschied, die Grenzen offen zu halten und die Flüchtlinge zunächst ohne Registrierung einreisen zu lassen. Angesichts des enormen Flüchtlingsandrangs sagte sie am 31. August ihren inzwischen berühmten Satz: „Deutschland ist ein starkes Land. Das Motiv, mit dem wir an diese Dinge herangehen, muss sein: Wir haben so vieles geschafft. Wir schaffen das. Wir schaffen das. Und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden.“

In München organisierten sich derweil Einsatzkräfte und Ehrenamtliche, um die Flüchtlinge unterzubringen und zu versorgen. Höhepunkt war das erste September-Wochenende, als insgesamt mehr als 20.000 Flüchtlinge ankamen. Am 12. September erreichten noch einmal mehr als 12.000 Menschen die bayerische Landeshauptstadt, die zusehends an ihre Grenzen stieß. Die Notunterkünfte waren inzwischen so voll, dass einige Asylsuchende die Nacht am Bahnhof verbringen mussten. Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) warnte eindringlich vor einem Kollaps und forderte mehr Unterstützung von den anderen Bundesländern.

Oktoberfest machte Sorgen

Sorge bereitete den Einsatzkräften inzwischen auch das anstehende Oktoberfest, das am 19. September beginnen und wieder Millionen Menschen aus aller Welt anlocken sollte: Tausende Flüchtlinge und bierselige Wiesnbesucher, die am Hauptbahnhof aufeinandertreffen – für Sicherheitskräfte ein Horrorszenario. Am 13. September kündigte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) angesichts des nicht abreißenden Flüchtlingsandrangs Grenzkontrollen an. Einen Tag später machte Ungarn seinen letzten Grenzabschnitt zu Serbien dicht.

Deutlich weniger Asylsuchende kamen infolgedessen in München an. Und dennoch sind die Zahlen beispiellos: Zwischen Ende August und 15. September wurden hier mehr als 70.000 Flüchtlinge gezählt – weit mehr als der Freistaat Bayern im Jahr 2014 insgesamt aufgenommen hatte. (epd)