Alpträume werden häufig unterschätzt – auch in der Fachwelt

Nicht erst seit der Corona-Pandemie leiden viele Erwachsene hierzulande unter wiederkehrenden Alpträumen. Sie werden häufig abgetan. Fachleute werben für ein Umdenken.

In die Tiefe fallen, zu einem wichtigen Termin zu spät kommen, bewegungsunfähig sein oder aber auf der Flucht weglaufen, Tod einer geliebten Person: Diese fünf Alpträume kommen am häufigsten vor. Wer sie gelegentlich erlebt, muss sich keine Sorgen machen. Doch wenn sich die nächtlichen Horrortrips häufen, leiden Betroffene meist stark darunter. Etwa fünf Prozent der Erwachsenen träumen in solcher Regelmäßigkeit schlecht – mindestens einmal wöchentlich -, dass Fachleute von einer Alptraum-Störung sprechen.

In der Corona-Zeit stieg die Zahl der Betroffenen: 10 bis 15 Prozent der Befragten gaben in einer Untersuchung des Mannheimer Traumforschers Michael Schredl an, vermehrt unter Alpträumen zu leiden. Ähnliche Auswirkungen sind von den Terroranschlägen des 11. September 2001 bekannt: „Solche globalen Belastungen wirken sich auf den einzelnen Menschen aus“, erklärt Schredl.

So kamen während der Lockdown-Phasen häufig Träume vor, in denen die träumende Person in einer Kiste eingesperrt war. Solche metaphorischen, also bildhaften Träume sind typisch bei einem hohen Stresslevel, sagt der Experte. Wer träume, ins Bodenlose zu fallen, sei dieser Situation ebenfalls hilflos ausgeliefert – dies könne jedoch auf unterschiedliche reale Stress-Auslöser zurückgehen. Der Kisten-Traum hänge dagegen klar mit den Lockdowns zusammen, ebenso die häufig geträumten Szenarien, dass eine geliebte Person schwer erkranke oder man von schniefenden Menschen ohne Maske umzingelt sei.

Wie Post-Covid und Schlaf zusammenhängen, wird derzeit ebenfalls erforscht. Laut der Neurologin und Psychiaterin Claudia Schilling gibt es „ein breites Spektrum an Schlafstörungen“, vor allem eine erhöhte Tagesschläfrigkeit sowie chronische Erschöpfung. Dies unterscheiden Fachleute von sogenannten Parasomnien: Störungen, die während des Schlafs auftreten, aber nicht mit zu wenig oder zu viel Schlaf einhergehen. Zu ihnen zählen – neben Schlafwandeln oder Nachtangst – eben auch Alpträume.

Am stärksten verbreitet sind sogenannte idiopathische Alpträume, eben die bildhaften und meist sehr anschaulichen, die auf Ängste und Stress im Wachzustand hindeuten. Ähnlich wie Schmerz sind sie eine Reaktion, zeigen also auf, „dass etwas im Argen liegt“, so Schredl.

Davon unterscheiden Schlafmediziner und -forscherinnen posttraumatische Alpträume, in denen typischerweise das traumatische Erlebnis wiederholt wird: Sie plagen oft Menschen, die Krieg und Gewalt erlebt haben oder die von einer Naturkatastrophe betroffen waren. „In solchen Fällen ist eine Psychotherapie sinnvoll“, betont Schredl.

Wer dagegen im Traum „normale“ Sorgen und Stress in dramatisierter Form durchlebt, kann selbst dagegen aktiv werden. Die meisten Betroffenen versuchten, die Auseinandersetzung zu vermeiden, bis es nicht mehr anders gehe. Schredl: „Genau das ist bei Ängsten ein Problem. Je mehr man sie vermeidet, desto größer können sie werden.“

Der erste Schritt ist es, ein Traumtagebuch zu führen, die Träume also nachts oder am Morgen aufzuschreiben. Dies koste zwar zunächst Überwindung, senke die Häufigkeit von Angstträumen jedoch nachweislich. Kinder können die wichtigste Szene ihres Traums auch zeichnen, rät die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin.

Im nächsten Schritt wird ein Traum ausgewählt und ein Ausweg oder alternatives Ende für das dort erlebte Problem gesucht – etwa, indem man sich in der Traumsituation einen Helfer sucht oder eine bedrohliche Traumfigur aktiv anspricht. Wer dieses neue Szenario täglich einmal detailliert durchspielt, kann laut Schredl innerhalb von zwei Wochen mit einer Verbesserung rechnen.

Voraussetzung sei freilich, die eigenen Alpträume ernstzunehmen und nicht mit Sprüchen abzutun wie „Träume sind Schäume“. Ein Großteil der Erwachsenen, die seit Jahren unter Alpträumen leide, suche jedoch keine Hilfe – und von denjenigen, die Hilfe gesucht haben, gab in Schredls Befragungen nur ein Drittel an, auch tatsächlich unterstützt worden zu sein. Eine Handvoll Beratungsstellen für Alptraumtherapie seien zu wenig, kritisiert der Experte. Zudem werde das Thema auch unter Fachleuten nicht immer ernstgenommen: „Die Lücke zwischen Leid und Therapieangebot ist groß.“