Alleskönner mit sechs Saiten

Jimi Hendrix demontierte mit seiner weißen „Izabella“ 1969 beim Woodstock-Festival geräuschvoll die US-Nationalhymne. Eric Clapton blieb viele Jahre seiner „Blackie“ treu. Rory Gallagher spielte die „Sunburst“-Lackierung seines 1961er-Modells bis auf das rohe Holz herunter. Und Mark Knopfler, einst Kopf der „Dire Straits“, versteigerte Ende Januar aus seiner Gitarrensammlung eine rote Fender Stratocaster für umgerechnet rund 132.000 Euro.

Allen diesen Gitarrenhelden ist eines gemeinsam: die Liebe zur Stratocaster, der berühmtesten und am meisten gespielten elektrischen Gitarre überhaupt. 1954 – vor 70 Jahren – erfand der kalifornische Instrumentenbauer Leo Fender die „Strat“, wie sie Gitarristen weltweit nennen. Sie ist eine Ikone – wie kein anderes Instrument hat sie den Sound der Blues-, Rock- und Popmusik geprägt.

Die Stratocaster ist ein Alleskönner und in zahlreichen Kopien vieler Hersteller bis heute der Verkaufsschlager unter den E-Gitarren. Ob Fans von cleanem oder verzerrtem Sound, ob Countrymusiker, Blueser oder Hardrocker: Alle schwören auf das einfache wie geniale Gitarrenmodell. Mit wenig Aufwand lässt es sich etwa mit anderen elektrischen Tonabnehmern für den persönlichen Geschmack modifizieren.

Leo Fender (1909-1991) wollte eine Gitarre bauen, die massenhaft herzustellen, vielseitig einsetzbar und unempfindlich gegen Rückkopplungsgeräusche war. Dabei habe er sich an den Wünschen von professionellen Gitarristen orientiert, erzählt Thomas Weilbier, Geschäftsführer des Gitarrenladens „No.1 Guitar Center“ in Hamburg. Gut bespielbar, leicht und preiswert sollte die ideale Gitarre sein. Und vor allem sollte ihr Klang verstärkt werden können, um im Publikum besser hörbar zu sein.

Fender hatte bereits 1951 mit der „Telecaster“ die erste E-Gitarre in Massenproduktion herausgebracht: eine solide Gitarre mit Schraubhals, aber nur zwei elektrischen Tonabnehmern. Mit der Stratocaster als Weiterentwicklung sei dem Gründer eines Instrumenten-Imperiums dann sein Meisterstück gelungen, sagt Weilbier, der Experte für Vintage-Gitarren ist.

Die wesentlichen Merkmale der Stratocaster seien weitgehend unverändert geblieben, berichtet George Wilde von Fender Musical Instruments Corporation in London. „In den vergangenen Jahren haben wir riesige Fortschritte gemacht mit brummfreien Tonabnehmern.“ Diese „noiseless pickups“ würden immer wichtiger, weil viele Spieler die Gitarrenklänge direkt in ihre Computer aufnähmen.

Mit ihrer abgerundeten Korpusform ist die „Strat“ nicht nur schlicht und schön. „Sie lässt sich durch ihren ‘Rippenspoiler’, einer Ausfräsung auf der Rückseite, angenehm spielen“, schwärmt Christian Gasch. Für den Gitarrenlehrer an einer Musikschule in Östringen in der Nähe von Heidelberg ist die Stratocaster das Instrument seiner Wahl: „Mit ihren drei Tonabnehmern lassen sich viele Klangfarben erzeugen.“

Der weit ausgeschnittene Korpus ermögliche virtuoses Spiel bis in die höchsten Lagen auf dem Griffbrett, das aus hellem Ahorn oder dunklem Palisander besteht. „Auch hat sie einen Tremolohebel, mit dem man die Töne schwingen lassen kann“, erläutert Gasch. Seine rote „Strat“ zieht er im Zweifelsfall den Gitarren von Gibson vor – des ewigen Konkurrenten von Fender: „Hank Marvin von den ‘Shadows’ spielte so eine, und auch Gary Moore.“

Der 1959 tödlich verunglückte Buddy Holly war der erste prominente Rock’n’-Roller, der sich für das futuristische Gitarren-Design begeisterte. Der Name „Stratocaster“ bezog sich auf das Faible der US-Amerikaner für Raumfahrt und Science Fiction: Die Stratosphäre ist die zweite Schicht der Erdatmosphäre in einer Höhe von 15 bis 50 Kilometern.

Auch farblich präsentierte sich die „Strat“ höchst modern. Zwar stehen ihre Fans bis heute besonders auf das ursprüngliche „Sunburst“ – ein „geplatzes“ Sonnengelb, das über rot-braune Farbtöne ins Schwarze ausblutet. Doch bedienten sich die Gitarrenbauer bei Fender auch der populären Farbpaletten großer US-amerikanischer Autohersteller.

Für eine originale Stratocaster in Candy Apple Red, Lake Placid Blue oder Olympic White muss man viel Geld auf den Tisch blättern, erzählt der Hamburger Gitarrenhändler Weilbier. 20.000 Euro aufwärts kostet ein „Strat“-Exemplar aus den begehrten 1950er und 1960er Jahren.

Deren Qualität sei bis heute unerreicht, sagt Weilbier. „Es ist vor allem der Ton der alten Hölzer.“ Auch hätten die Gitarrenbauer sehr sorgfältig und mit besten Materialien gearbeitet. Durch Sammlungsauflösungen kämen derzeit viele alte E-Gitarren auf den Markt, die Preise seien aber teilweise „völlig überzogen“.

Für Gitarristinnen und Gitarristen sei ihr Arbeitsgerät nicht nur ein Stück Holz mit Drähten, sondern etwas Magisches, weiß Weilbier. „Man will sie streicheln und auf ihr spielen.“ Vor allem auf einer echten Stratocaster. „Sie bleibt die Ikone.“