Alles ist miteinander verknüpft

Der Physiker und Philosoph Fritjof Capra tritt seit langem für eine Einheit von Wissenschaft und Ethik ein. Wissenschaftler seien für ihre Forschung „nicht nur intellektuell, sondern auch moralisch verantwortlich“, schrieb er schon in den 1980er Jahren – damals vor allem mit Blick auf die Gefahren der Kernkraft. Heute bleibt seine Warnung angesichts neuer Bio-Technologien und Künstlicher Intelligenz erschreckend aktuell. Am 1. Februar wird Capra 85 Jahre alt. 1939 kam er in Wien zur Welt, heute lebt er in den USA.

Nach seinem Physikstudium in Innsbruck und Wien forschte er von 1965 bis 1985 in der theoretischen Hochenergiephysik an verschiedenen europäischen und amerikanischen Universitäten. Es hat seine Denkweise früh geformt, dass er auf einem Bauernhof im Süden Österreichs aufwuchs: „In diesen ersten zwölf Jahren meines Lebens hatte ich einen sehr direkten Kontakt zur Natur“, schreibt er in seinem jüngsten Buch „Patterns of Connection“ (Muster der Verbindung) von 2021, einer Essenz seiner Grundgedanken.

Von Werner Heisenberg (1901-1976) – mit Albert Einstein und Niels Bohr einer der Giganten der modernen Physik – habe er gelernt, dass mit der „neuen Physik“ ein radikaler Wandel des Weltbildes verbunden sei. Bei seinem ersten Treffen mit Heisenberg 1972 habe dieser zudem Parallelen zwischen den Konzepten der Quantenphysik und indischen Weisheitslehren gezogen.

Bereits seit den 1960er Jahren interessiert sich Capra selbst für östliche Philosophie und Religion, für Buddhismus, Hinduismus und Taoismus. „Ich begann zu meditieren und experimentierte mit Psychedelika, was viele zu dieser Zeit taten“, bekannte er einmal.

Die theoretische Physik allein sei ihm bald zu eng geworden, sagt Michael Hohl von der Hochschule Anhalt – University of Applied Sciences in Dessau dem Evangelischen Pressedienst (epd): „Ich glaube, er war einer der Ersten, der sich in diesen akademischen Fachnischen nicht mehr wohlgefühlt hat“, sagte der Hochschullehrer, der zu Design-Theorie, Kybernetik und Transformationsprozessen forscht und lehrt. Capra habe schon früh gemerkt, dass „alles miteinander zusammenhängt“.

Doch die Wissenschaft agiere heute wie in dem asiatischen Gleichnis von der Gruppe blinder Männer, die einen Elefanten tastend untersuchten, sagt Hohl: Dabei finde jeder nur einen Teil, den Rüssel oder Stoßzahn, ohne das ganze Tier zu erkennen. Die Krise der Gegenwart sei Capra zufolge ebenso eine „Krise der Wahrnehmung, wir gucken auf dasselbe Objekt, aber aus unterschiedlichen Perspektiven“, fügt Hohl hinzu: „Jeder hat einen völlig anderen Eindruck, aber im Grunde geht es um dasselbe Ding. Das heißt, die Klimakrise, die wir haben, ist nur ein Ausschnitt, ein Teilaspekt von einer ganz gewaltigen Krise.“

Die Weltprobleme seien alle voneinander abhängig: ob Arbeitslosigkeit, Überbevölkerung, Menschenrechte oder Klimawandel, betont Capra. Beispiel dafür sei etwa die Corona-Pandemie: „Aus einer systemischen Perspektive muss das Coronavirus als eine biologische Reaktion von Gaia, unserem lebendigen Planeten, auf die ökologische und soziale Notlage, die die Menschheit über sich selbst gebracht hat, betrachtet werden“, bilanziert er.

Meilenstein einer Aufbruchstimmung war Capras 1975 erschienenes Buch „Das Tao der Physik“, das lange Zeit als „Bibel der Hippie-Generation“ galt. Er selbst wehrt sich dagegen, als New-Age-Denker vereinnahmt zu werden. Auch Capra-Kenner Michael Hohl wertet diesen Esoterik-Vorwurf als Missverständnis. Capras Werk basiere auf logischem und klarem wissenschaftlichem Denken.

Capra schrieb zudem das Drehbuch für den Film „Mindwalk“ (1990) mit Liv Ullmann und John Heard in den Hauptrollen, bei dem sein Bruder Bernt Regie führte. Der Film basiert auf seinem 1983 erschienenen Buch „Wendezeit“(The Turning Point). Darin sagte Capra voraus, dass die Ökologiebewegung, die Frauenbewegung, die Friedensbewegung und andere Graswurzelbewegungen Bündnisse eingehen und sich zu neuen politischen Parteien zusammenschließen würden.

Seit dieser Zeit wirbt Capra für das Konzept einer „Tiefenökologie“, die den Menschen nicht von seiner natürlichen Umwelt trennt. Es sieht die Welt als Netz von Phänomenen, „die grundsätzlich miteinander verbunden und voneinander abhängig sind“.

Der charmant auftretende und wesentlich jünger wirkende ökologische Vordenker lebt heute mit Frau und Tochter in der kalifornischen Universitätsstadt Berkeley. Es gehe ihm „gesundheitlich noch sehr gut“, erklärte Capra dem epd auf Anfrage. Er spiele nach wie vor Tennis. Er war im letzten Herbst in Innsbruck und in Italien. Beruflich sei er jetzt weitgehend im Ruhestand, vermittle sein Denken aber nach wie vor seinem Online-„Capra Course“.