Allein im Wohnheim

Großfamilie, viel Essen und Gottesdienst bis in die Morgenstunden – so wird in Kamerun Weihnachten gefeiert. In Deutschland ist das ganz anders und für ausländische Studenten eine große Umstellung. Ganz besonders in diesem Jahr.

Viele Schnee – so stellte sich Linda Tcheuffa deutsche Weihnachten vor
Viele Schnee – so stellte sich Linda Tcheuffa deutsche Weihnachten vorPixabay

Kiel. Die Weihnachtstage in Kiel sind für viele Studierende aus dem Ausland eine Qual: Beim größten Familienfest der Deutschen sitzen sie oft allein im Studentenwohnheim. „Durch die Kontaktbeschränkungen in der Corona-Pandemie haben sie in diesem Jahr noch weniger Chancen auf gemeinsames Feiern mit Freunden“, sagt Regine Paschmann von der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) an den Kieler Hochschulen. Die Studierendenpastorin organisierte in der Vergangenheit Weihnachtsfeiern für ausländische Studierende, mit Gesang, Essen und Karten spielen. Aber auch das muss in diesem Jahr ausfallen.

Vielleicht könne sie digital was anbieten, überlegt Paschmann. Aber die jungen Leute hängen in der Corona-Krise schon viel vor dem Rechner, die meisten Hochschulveranstaltungen finden online statt. „Es ist die Nähe zu Mitmenschen, die ihnen fehlt. Die kann man ihnen über Zoom nicht geben“, sagt die Pastorin.

Im kleinen Zimmer

Linda Tcheuffa (24) aus dem afrikanischen Kamerun sitzt seit Wochen fast ununterbrochen in ihrem kleinen Wohnheimzimmer. Sie ist eine von 459 ausländischen Studierenden an der FH Kiel und studiert im 7. Semester Elektrotechnik. „Meine Familie hier sind meine Freunde. Und die kann ich nicht treffen. Das ist deprimierend“, sagt sie.

Linda Tcheuffa (24)
Linda Tcheuffa (24)Privat

An der Vorweihnachtszeit in Deutschland liebt Linda die Weihnachtsmärkte, die in diesem Jahr auch abgesagt sind. Als sie 2016 nach Deutschland kam, waren die Feiertage ein Schock für sie. „Aus Filmen hatte ich die Vorstellung, dass Schnee liegt und man mit vielen Menschen Kakao trinkt“, erinnert sie sich. Doch der Schnee fehlte. Die Geschäfte hatten geschlossen, die Weihnachtsmärkte waren abgebaut, die Straßen leer gefegt. In ihrem Wohnheim bildete sich Heiligabend eine Notgemeinschaft. Mit anderen ausländischen Studierenden, die ebenfalls allein waren, kochte sie gemeinsam.

Ihre Eltern und Geschwister hat sie in den vier Jahren, die sie in Kiel lebt, nicht einmal gesehen. In Kamerun feiert ihre Familie an Weihnachten immer ein großes Fest. Alle sind eingeladen, „Freunde und Feinde“, wie Linda sagt. Um 21 Uhr gehen sie in die Kirche. Der Gottesdienst dauert bis 2 Uhr morgens, es wird viel gesungen.

Keine Geschenke, viel Essen

Auch das gemeinsame Essen steht an den Feiertagen im Vordergrund. Eine Tradition, die Iran Fondja (26) sehr schätzt. Er stammt ebenfalls aus Kamerun, studiert an der FH Kiel im fünften Semester Multimediaproduction. Bei seiner Familie gibt es zu Weihnachten Hähnchen und Gemüseeintopf. Auch die Nachbarn kommen vorbei. „Geschenke gibt es selten. Dafür aber viel Essen“, sagt Iran und lacht.

Am deutschen Kaufrausch zu Weihnachten können Linda und Iran sich nicht beteiligen. Als ausländische Studierende bekommen sie kein BAföG. Iran arbeitet für eine Hamburger Zeitarbeitsfirma. Linda lebt von einem 450-Euro-Job als Reinigungskraft. Von dem wenigen Geld, das ihr nach Abzug der Miete (218 Euro) und der Krankenversicherung (108 Euro) bleibt, unterstützt sie noch ihre Familie zu Hause. Durch die Corona-Pandemie waren viele Studierende zwischenzeitlich ohne Job. Sie können sich in solchen Fällen an die ESG wenden, die mit kleineren Beträgen Engpässe überbrückt.

Zur Tante nach Münster

Sowohl Linda als auch Iran haben in diesem Jahr Glück. Linda kann Weihnachten bei ihrer Tante in Münster verbringen. „Wir werden kochen und einen Film gucken. Darauf freue ich mich.“ Iran fährt für eine Woche zu seinem Cousin nach Oberhausen. Heimweh hat er trotzdem. Weihnachten mit seinen Eltern und sechs Geschwistern zu feiern, wäre für ihn das größte Geschenk. (epd)