900 Jahre Eleonore von Aquitanien – Starke Frau des Mittelalters

Sucht man nach Frauengestalten, die das Mittelalter mitprägten, steht ihr Name weit oben. Eleonore von Aquitanien folgte nicht Männern, sondern ihren eigenen Regeln. Nicht ihre Schuld, dass ihr dynastischer Plan scheiterte.

Im 21. Jahrhundert gibt es Frauenquoten, Gleichstellungsbeauftragte, durchgegenderte Sprache, „Bundeskanzlerinnenämter“ und Toilettendiskussionen. In der Welt, in die Eleonore von Aquitanien 1124, vor 900 Jahren, hineingeboren wurde, gab es nichts davon. Sie brauchte das nicht, um den Männern in ihrem Leben zu zeigen, wie’s geht.

Südlich der Loire gelegen und sonnenverwöhnt, ist die Region Poitou-Charentes eine der kunsthistorisch reichsten Europas. Ihre größten Schätze liegen nicht am Meer, sondern im Hinterland – entlang dem westlichsten Pilgerweg nach Santiago de Compostela, der Via Turonensis – und damit abseits des heutigen Massentourismus. Warum gerade hier?

Nun, zumindest in früheren Jahrhunderten fielen Wohlstand und Kunstsinn noch zusammen; und zum stetig wachsenden Durchzug der Jakobspilger seit dem 10. Jahrhundert gesellten sich günstige politische Faktoren. Bald nach der milden Herrschaft Herzog Wilhelms IX. von Aquitanien (1071-1127), einem Vertreter der aufkommenden Troubadour-Lyrik, übernahm 1137 dessen noch minderjährige Enkelin Eleonore die Regentschaft.

Reich an Land und Titeln im Westen des heutigen Frankreich, ging Eleonore von Aquitanien gleich zwei namhafte Verbindungen ein: erst mit dem französischen Kronprinzen und baldigen König Ludwig VII. Diese Ehe wurde nach dem Zerwürfnis der beiden während der gemeinsamen Teilnahme am Zweiten Kreuzzug 1152 spektakulär annulliert. Und nur zwei Monate später heiratete sie – ohne Zustimmung ihres Lehnsherrn und Ex-Mannes – den Herzog der Normandie und baldigen englischen König Heinrich II. Plantagenet (1133-1189, Beiname „Kurzmantel“/Curtmantle, Court-Manteau).

Durch den Zusammenfall dieser Herrschaftsgebiete entstand 1154 für ein halbes Jahrhundert ein regelrechtes Westreich („Angevinisches Reich“), das sich von Schottland bis zu den Pyrenäen erstreckte. Ein Fortbestand dieser herrschaftlichen Fügung bis heute ist – Englands Fußballnationalmannschaft, die „Three Lions“.

Ursprünglich hatten die Wappen der englischen Könige eine variable Zahl an Löwen; normalerweise ein oder zwei, in verschiedenen Posen. Und auch Eleonores Wappen für Aquitanien enthielt einen. Die dynastische Verbindung beider war schon durchaus drei Löwen wert – die der Chronist Matthäus von Paris (um 1200-1259) dem englischen König Richard I. „Löwenherz“ (1189-1199), Sohn Eleonores und Heinrichs, als bleibendes Merkmal verpasste.

Kulturelles Zentrum des neuen Angevinischen Westreiches war freilich nicht das kalte England, sondern das Poitou mit seinem südländischen Charakter. Hier entstanden Kunstwerke ersten Ranges mit einer sehr eigenständigen Formensprache.

Nur in dynastischer Hinsicht war die zweite Ehe Eleonores durchaus glücklich: Vier Söhne bekam sie mit König Heinrich II. Doch hielt dieser seine Gattin über 15 Jahre in strengem Hausarrest, wohl weil sie nicht auf ihre eigene Machtbasis und Herrscherrolle in Aquitanien verzichten wollte. Sie ertrug es eisern und mit Stolz.

Mit ihrer Heirat hatten Heinrich II. und Eleonore England und den gesamten Westen Frankreichs miteinander vereinigt – und so einen 300-jährigen Dauerkonflikt mit der französischen Krone quasi programmiert. Den trug der Militärstratege Richard auf dem Festland aus, seit 1172 als Herzog von Aquitanien, später auch der Normandie.

Doch sein Vater lohnte es ihm nicht – und zog ihm mal den einen, mal den anderen unbegabteren Bruder vor. Richard Löwenherz (1157-1199) – um ihn ranken sich Legenden, festgezurrt durch Abenteuerhefte, Comics und Historienschinken. Auf dem Rückweg vom Dritten Kreuzzug geriet er 1192 in Österreich in Gefangenschaft des deutschen Kaisers. In dieser Zeit übernahm sein glückloser Bruder Johann Ohneland (1166/67-1216) die Regentschaft.

Noch einmal kehrte Richard siegreich zurück. Doch nach seinem Schlachtentod 1199 wurde sein Bruder Johann König von England, zudem Herzog der Normandie und von Aquitanien sowie Graf von Anjou. Mit dem frühen Sterben ihrer drei ältesten Söhne sah Eleonore ihre Pläne schwinden. Übrig blieb der eher talentfreie Johann.

Nach sechsmonatiger Belagerung fällt im März 1204 das mächtige Chateau Gaillard – eine von Richard oberhalb der Seine errichtete Verteidigungsfestung gegen Frankreichs Krone; viele weitere Burgen und Städte folgen. Das Herzogtum Normandie, Stammland der Normannen, geht für England verloren. Drei Wochen später stirbt in Poitiers die Übermutter des Geschlechts, Eleonore von Aquitanien.

In der Schlacht von Bouvines 1214 gehen fast alle Festlandsbesitzungen Englands an den Rivalen Frankreich. Nach einer Rebellion seiner Barone muss Johann dem englischen Adel in der Magna Charta von 1215 große Zugeständnisse machen. Sein Kronschatz geht während eines weiteren erfolglosen Feldzugs verloren. Bis heute trägt Johann den Beinamen Ohneland (John Lackland; Jean Sans-Terre).

So ist das Angevinische Reich allzu bald schon wieder Asche der Geschichte; das Poitou, nun Teil Frankreichs, fortan „Provinz“, sein Kunstschaffen dahin. Doch Teile dieses Denver-Clans des Mittelalters fanden sich im Tod wieder vereint: Am Ende wurde König Richard zu Füßen seines ungnädigen Vaters und seiner Mutter Eleonore bestattet: in der königlichen Hausabtei Fontevraud an der Loire.

In den wirklich zeitgenössischen Quellen bleibt die historische Person Eleonore seltsam blass. Folgende Generationen von Chronisten sorgten für eine Art schillerschen Wallenstein-Effekt: „Von der Parteien Hass und Gunst verwirrt, schwankt [ihr] Charakterbild in der Geschichte.“ Als ruchlos verfemt oder als Ausnahmegestalt emporgehoben – zentral dürfte für Eleonore von Aquitanien gewesen sein, als eigenständige Herrscherin wahrgenommen zu werden. Das seifige Filmepos „Der Löwe im Winter“ von 1968 mit Katherine Hepburn, Peter O’Toole und Anthony Hopkins verschaffte ihr Eingang in die moderne Populärkultur.