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80 Jahre nach Hiroshima – Die atomare Bedrohung wächst

80 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki warnen Experten vor einer neuen atomaren Gefahr. Die Schrecken von 1945 scheinen vergessen, dabei sind die Gefahren nuklearer Eskalation heute realer denn je.

Die Atommächte rüsten wieder auf. Das hat das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri ermittelt und warnt vor einem neuen atomaren Wettrüsten. Fast alle neun Länder mit Kernwaffen modernisierten und erweiterten derzeit ihre nuklearen Arsenale, heißt es im aktuellen Jahresbericht des Instituts. Das ist keine gute Nachricht.

Schon im vergangenen Jahr zeigte sich das norwegische Nobelpreiskomitee besorgt über die Entwicklung. Bei der Bekanntgabe des letztjährigen Friedensnobelpreises an die japanische Anti-Atomwaffen-Organisation Nihon Hidankyo sagte der Komiteevorsitzende Jorgen Watne Frydnes, es sei alarmierend, dass das Tabu des Einsatzes von Nuklearwaffen unter Druck stehe. Weitere Länder strebten den Besitz von Atomwaffen an. Darüber hinaus gebe es in derzeitigen Kriegen Drohungen, diese Waffen einzusetzen – “die zerstörerischsten Waffen, die die Welt jemals gesehen hat”.

Dabei weiß die Welt seit 80 Jahren in schrecklicher Genauigkeit, was der Einsatz solcher Waffen bedeutet. Am 6. August 1945 warf ein US-amerikanischer Bomber die erste Atombombe über dem japanischen Hiroshima ab. Die Stadt wurde ausgewählt, weil sie Sitz des Hauptquartiers der 2. Hauptarmee Japans war und dort kriegswichtige Güter gelagert wurden. Für den großen Schlag hatte die US-Luftwaffe sie zuvor verschont. Schließlich wollte man eine intakte Stadt zerstören.

Die Bombe, genannt “Little Boy”, explodierte in etwa 600 Metern Höhe über dem Stadtzentrum. Die Temperatur am Boden stieg im Bruchteil einer Sekunde auf mehrere Tausend Grad Celsius, eine Druckwelle zerstörte nahezu alle Gebäude im Umkreis von zwei Kilometern. Rund 70.000 Menschen starben sofort, Zehntausende weitere an den Folgen von Verbrennungen, Verletzungen oder Strahlenschäden.

Nur drei Tage später, am 9. August 1945, wurde eine zweite Bombe – “Fat Man” – über Nagasaki abgeworfen. Auch hier starben sofort etwa 40.000 Menschen. Beide Angriffe richteten sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern trafen vor allem Zivilistinnen und Zivilisten – Männer, Frauen, Kinder. Die Verantwortlichen in Washington argumentierten, dass eine Invasion Japans Hunderttausende US-Soldaten das Leben gekostet hätte. Tatsächlich kapitulierte das Kaiserreich binnen Tagen.

In den Wochen, Monaten und Jahren danach litten dafür Hunderttausende unter den Spätfolgen der Strahlung: Leukämie, Krebs, genetische Schäden, psychische Traumata. Die genauen Opferzahlen sind bis heute umstritten, Schätzungen reichen bis zu 350.000 Todesopfern in beiden Städten zusammen.

Überlebende, in Japan Hibakusha genannt, berichten bis heute von der Hölle auf Erden. Viele dieser Zeitzeugen engagierten sich seither gegen Atomwaffen – wie die Organisation Nihon Hidankyo, deren Aktivisten jahrzehntelang an Schulen, Universitäten und vor internationalen Gremien über ihre Erlebnisse berichteten. Ihr Ziel: Dass sich Hiroshima und Nagasaki niemals wiederholen. Dafür wurden sie im vergangenen Jahr mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Trotz der grausamen Ereignisse begann nach dem Zweiten Weltkrieg ein beispielloses Wettrüsten. Während des Kalten Krieges standen sich die beiden größten Atommächte USA und Sowjetunion jahrzehntelang feindlich gegenüber. In der Kuba-Krise 1962 stand die Welt für Tage am Rande eines nuklearen Schlagabtauschs. Erst mit dem Ende des Kalten Krieges Anfang der 1990er Jahre entspannte sich die Lage, zumindest zeitweise.

Doch inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Der technische Fortschritt hat die Zerstörungskraft von Atomwaffen vervielfacht. Die Gefahren beschränken sich längst nicht mehr nur auf unmittelbare Opfer: Ein regional begrenzter Atomkrieg könnte durch radioaktiven Fallout, Ernteausfälle und globale Klimaveränderungen Millionen Menschenleben fordern, selbst in weit entfernten Teilen der Erde.

Besonders besorgniserregend ist die Lage in Südasien: Im westlichen Himalaya grenzen mit Indien, Pakistan und China gleich drei Atommächte aneinander. Indien und Pakistan streiten sich seit 1947 um die Region Kaschmir – ein Konflikt, der immer wieder aufflammt. Erst im Mai dieses Jahres kam es nach einem Anschlag auf hinduistische Pilger wieder zu militärischen Spannungen zwischen den beiden Staaten. Auch dieses Mal war die Angst vor einer Eskalation groß – und vor allem vor der nuklearen Option.

Weltweit gibt es laut Sipri aktuell rund 12.241 nukleare Sprengköpfe. Etwa 90 Prozent davon besitzen Russland und die USA. Doch auch China baut seine nuklearen Kapazitäten massiv aus. Sipri warnt: Erstmals könnte China in Friedenszeiten nuklear bestückte Raketen auf Abruf bereithalten.

Mit Sorge blicken die Friedensforscher auch auf das drohende Ende der letzten verbliebenen Verträge zur Rüstungskontrolle. Anfang 2026 läuft der New-START-Vertrag zwischen den USA und Russland aus – bisher sind keine Bemühungen erkennbar, ihn zu verlängern oder zu ersetzen. Sollte auch dieser Pfeiler fallen, stünde die Welt endgültig ohne verbindliche Regeln zur Begrenzung von Atomwaffen da.