3sat-Doku trifft DDR-Abiturienten des Wendejahrgangs

Sie haben zur Wendezeit Abitur gemacht, nun treffen sich die Ehemaligen noch einmal. Eine 3sat-Dokumentation begibt sich mit einer Jugendgruppe der ehemaligen DDR auf Spurensuche über ihre Lebenswege.

Aus meteorologischer Sicht kann der Sommer 1989 mit viel Sonne und wenig Regen als guter Durchschnitt bezeichnet werden. Politisch aber war er alles andere als das: Denn im Sommer 1989 konnte man spüren, dass etwas passiert. Mit Lockerungen (Perestroika) und Offenheit (Glasnost) bahnte sich im Osten ein neuer Weg an, und das politische System geriet ins Wanken.

Diese Stimmung spiegelt die Dokumentation “Abi “89 – Aufbruch im Umbruch” wider, die 3sat am 2. Oktober um 20.15 Uhr zeigt. Acht Zeitzeugen, die zur Wendezeit in der DDR ihr Abitur gemacht haben, schildern ihren Werdegang kurz vor dem Mauerfall. So wird das Klassentreffen zur bewegenden Spurensuche.

Gerade noch waren sie die Elite der Kreisstadt Luckenwalde in Brandenburg. Nur rund 40 Schülerinnen und Schüler wurden dort 1989 zum Abitur zugelassen, unter ihnen Johanna, Britt, Corinna, Marleen, Marco, Angelika, Silke und Alexander. Sie wurden zu Zeitzeugen der größten friedlichen Revolution in der Geschichte Europas. “Jeder und jede von ihnen hat einen ganz eigenen Blick auf diese doppelt prägende Zeit und das Aufwachsen in der DDR”, sagt Jutta Schön. Die Leipziger Filmemacherin hat sich mit den Beteiligten und einem Filmteam auf Spurensuche begeben.

35 Jahre nach dem Mauerfall treffen sich die sieben Abiturientinnen und ein Abiturient in der ehemaligen Lenin-Oberschule in Luckenwalde. Genauso ungewohnt wie deren Wiedersehen, ist auch das Betreten des heutigen Friedrich-Gymnasiums. Die freundliche Art des heutigen Schulleiters Alexander Doms sorgt schnell für Entspannung. Beim Besuch des früheren Klassenzimmers und der Turnhalle werden unterschiedliche Erinnerungen wach.

Für das obligatorische Klassenfoto sind alle vereint, aber jeder erzählt seine ganz eigene Geschichte. Die heute als Ärztin südlich von Berlin lebende Johanna erlebte ihre Kindheit als behütet und schön. Sicherheit und Geborgenheit prägten ihr Umfeld, bestärkt durch die Kinder- und Jugendorganisationen der DDR.

Britt dagegen, von Parteifunktionären als “zu rebellisch und pro-westlich” verortet, wurde der Traum vom Germanistikstudium verwehrt. Deshalb floh sie über die Deutsche Botschaft in Prag nach Bamberg, wo sie studieren konnte. Ihr früherer Mitschüler Marco kam aus einer Arbeiterfamilie und stand als DDR-Offiziersschüler am Bahnhofsvorplatz in Dresden, während Britts Zug gen Westen fuhr. Der heutige Berliner Polizeihauptkommissar hatte damals den Auftrag, “konterrevolutionäre Kräfte” vom Bahnhof fernzuhalten.

Aus dem täglichen Leben kennt auch Pfarrerstochter Angelika die Schattenseiten des DDR-Systems. Über ihren Vater erlebt sie Freiheit als ein großes, aber den Kommunismus gefährdendes Gut. Kirche ist in der DDR auch Schutzzone und Fluchtort für Andersdenkende und wird so zum Quell und Multiplikator der Widerstandsbewegung. Silke dagegen wurde als Sportlerin vom System der DDR umgarnt. Denn bereits in Grundschulen wurde gezielt nach Sport-Talenten gesucht, die der DDR internationale Erfolge liefern konnten.

Für Überraschungen bei dem ungewöhnlichen Klassentreffen sorgt Alexander. Er war in der siebten Klasse noch ein Mitschüler, erlebte die Wende aber schon von der anderen Seite der Mauer. 1981 war seinem Vater als Schiffsarzt im Westen die Flucht gelungen; nach zwei Jahren voller Repressalien konnte auch der Rest der Familie ausreisen. Heute lebt Alex auf der britischen Kanalinsel Guernsey. Der Pferdeliebhaber bekommt dort Besuch vom Filmteam und erzählt seine Familiengeschichte, geprägt durch unangenehme Erfahrungen mit der Staatssicherheit der DDR.

Der Dokumentarfilm “Abi “89 – Aufbruch im Umbruch” nimmt das Publikum mit auf eine interessante filmische Reise in die deutsch-deutsche Vergangenheit. Angenehm offen erzählen die einstigen Oberschüler über Jugend und Lebenswege. Untermalt wird die Spurensuche von Musik-Klassikern der DDR wie “Der blaue Planet” von Karat und – natürlich – “Am Fenster” von City. Die Schlussworte des Films gehören Pfarrerstochter Angelika: “Ich bin froh, dass heute jeder nach seiner Fasson glücklich werden kann!”