35. Jahrestag des Mauerfalls mit Akzentverschiebungen
In Berlin erinnern verschiedene Veranstaltungen an den Fall der Mauer vor 35 Jahren. Dabei spielen auch die Ängste und Probleme der Gegenwart eine Rolle.
Am 9. November vor 35 Jahren fiel die Berliner Mauer. Die Bilder von damals sind bis heute im kollektiven Gedächtnis. Zum Jubiläum ist in der Hauptstadt am Freitag und Samstag dort, wo einst die Mauer stand, eine etwa vier Kilometer lange Open-Air-Installation mit alten und neuen Schildern und Transparenten rund um das Thema friedliche Revolution zu sehen. Motto: “Haltet die Freiheit hoch!” Damit wollen die Veranstalter nach eigenem Bekunden die zentralen Werte der friedlichen Revolution – Freiheit, Demokratie und Menschenrechte – mit dem aktuellen Anliegen der Erhaltung dieser Werte verknüpfen.
Eine deutliche Akzentverschiebung gegenüber früheren Gedächtnisfeiern zum Mauerfall nimmt der Berliner Historiker Michael F. Feldkamp wahr. Er sagte der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), früher hätten Fragen, wie es zu diesen folgenschweren Entwicklungen in der DDR kam, im Mittelpunkt gestanden: “In diesem Jahr, 35 Jahre nach dem Zerfall der DDR, ziehen wir naturgemäß Bilanz.”
Dabei werde ein Auseinanderbrechen des gesellschaftlichen Zusammenhalts konstatiert und angesichts der Wahlergebnisse bei den jüngsten Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt – ganz im “Schubladendenken” verhaftet, so Feldkamp – dem Osten Deutschlands die Schuld dafür zugewiesen. “Ein kritischer Blick ist sicherlich notwendig, aber wir müssen auch analysieren, wie es zu diesen Entwicklungen gekommen ist, die bei näherer Betrachtung sich dann genauso in den Ländern der ‘alten Bundesrepublik’ abzeichnen.”
Laut einer aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur bezeichnet mehr als jeder Zweite den 9. November 1989 als den “glücklichsten Tag der deutschen Geschichte”. Wobei Ostdeutsche dies mit 50 Prozent etwas weniger als Westdeutsche mit 54 Prozent so sehen. Bei den Jüngeren unter 30 Jahren sind 64 Prozent dieser Ansicht. Gleichzeitig empfinden 31 Prozent der Befragten, dass die Leistungen und Erfahrungen ehemaliger DDR-Bürger heute ausreichend gewürdigt werden. Besonders stark ist dieses Gefühl im Osten Deutschlands ausgeprägt, wo Dreiviertel der Befragten die Anerkennung als unzureichend empfinden.
Die Direktorin der Bundesstiftung, Anna Kaminsky, sieht hierin einen wichtigen Anlass zum Handeln: “Der 35. Jahrestag des Mauerfalls sollte ein Anstoß sein, um den Mut der Ostdeutschen zu würdigen, die zum Sturz der Diktatur beigetragen haben. Zugleich müssen die Anstrengungen und Leistungen nach 1990 gewürdigt werden; einer Zeit, die viele Jahre von sozialer Unsicherheit geprägt war.”
Möglich, dass dieser Aspekt auch am Donnerstag zur Sprache kommt, wenn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Veranstaltung “35 Jahre Friedliche Revolution: Sieg der Freiheit? Überhöher Mythos? Gefährdetes Erbe?” ins Schloss Bellevue lädt. Sorge über aktuelle gesellschaftliche Gefährdungen im Spiegel der historischen Rückschau schwingt ebenfalls mit beim Titel eines Antrags der Unionsfraktion, über den der Bundestag Freitag debattiert: “35 Jahre Mauerfall – 35 Jahre Freiheit in ganz Deutschland – Verantwortung und Auftrag”.
Die zentrale Gedenkveranstaltung zum Mauerfall findet dann am Samstag, dem Jahrestag, mit dem Bundespräsidenten und dem Regierendem Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße statt. Bunte Rosen stecken, Kerzen entzünden – Rituale, die man schon von früheren Feierlichkeiten kennt.
Gerade in Krisenzeiten oder in Phasen gesellschaftlichen Umbruchs wie heute beobachtet der Historiker Feldkamp einen Mehrbedarf an rituellen Feiern: “Eine gelungene Gedenkfeier, in der die Reden, die Musikauswahl, bis hin zum Blumenschmuck alles genau abgestimmt sind, schenkt mir ein erhebendes Gefühl.”
Musikalisch abgestimmt auf die kilometerlange Open-Air-Installation ist die “Band für die Freiheit”: Entlang des früheren Mauerverlaufs sollen Hunderte von Musikern einen “Soundtrack von 1989” erzeugen. Die russische Frauen-Protest-Band “Pussy Riot” ist am Sonntag beim Demokratiefestival “Revolution! – und dann?” auf dem Campus für Demokratie zu hören. Auch hier klingt die Frage an, wie glorreiche Vergangenheit und problematisches Heute miteinander verquickt sind.