25 Jahre „Cittaslow“ – Die Entdeckung der Langsamkeit

Frühlingszeit – Entschleunigungszeit. In Deidesheim in der Pfalz, im nordrhein-westfälischen Lüdinghausen oder im bayerischen Nördlingen gilt das besonders. Dort lebt man ganzjährig „bewusst im Zeichen der Schnecke“.

Der Frühling kommt endlich an – für manche eine Zeit der Entschleunigung. Das Leben läuft ein bisschen langsamer, gemächlicher. Sehr angenehm. Eine Reihe von Städten ist 2024 besonders entschleunigt: Ihre Vereinigung feiert nämlich ihr 25-jähriges Bestehen. „Cittaslow“, ein loser Verbund von 240 zumeist europäischen Kommunen, hat den Verzicht auf Stress zum Programm erhoben.

Die Schnecke als Wappentier wird gewissermaßen zum Vorbild. Das internationale Netzwerk lebenswerter Städte pflegt überlieferte Traditionen. Lebensqualität, Entschleunigung und Nachhaltigkeit sind die großen Begriffe; „bewusstes Leben im Zeichen der Schnecke“. Das Gegenbild sind vom Massentourismus und AirBnb erdrückte Großstädte wie Venedig oder Barcelona, die kaum mehr zum Atmen kommen.

Stefano Cimmicchi, Ex-Bürgermeister im umbrischen Orvieto und einer der Mitbegründer von Cittaslow: „Wir nehmen nicht länger hin, dass sich Städte als gesichtslose Ballungsgebiete alle einander ähneln und es keine Rolle mehr spielt, in welcher wir leben. Heute entdecken wir wieder die Bedeutung historischer Stadtkerne, restaurierter kulturhistorischer Orte und Gebäude; wir greifen wieder auf heimische Produkte zurück und lernen, unsere sozialen Beziehungen neu zu gestalten.“

Die Cittaslow-Bewegung (italienisch-englisch für „langsame Stadt“) entstand 1999 in Italien. Die Idee stammt von Paolo Saturini, Bürgermeister des toskanischen Ortes Greve, der sich von der sogenannten Slow-Food-Bewegung inspirieren ließ. Diese entzündete sich in den 80er Jahren an der Eröffnung eines Fastfood-Restaurants bei der Spanischen Treppe in Rom. Die Slow Fooder trieb die Sorge vor einem Verlust der Esskultur um. Für Cittaslow geht es um mehr als nur Ernährung. Allerdings spielen auch hier etwa regionale Märkte und Produkte eine wichtige Rolle.

Im eigenen Manifest heißt es: Cittaslow, „das ist eine Stadt, in der Menschen leben, die neugierig auf die wiedergefundene Zeit sind; die reich ist an Plätzen, Theatern, Geschäften, Cafes, Restaurants, Orten voller Geist, ursprünglichen Landschaften, faszinierender Handwerkskunst, wo der Mensch noch das Langsame anerkennt, den Wechsel der Jahreszeiten, die Echtheit der Produkte und die Spontaneität der Bräuche genießt, den Geschmack und die Gesundheit achtet“.

Angesprochen sind vor allem kleinere Städte unter 50.000 Einwohnern. Zu den Mitgliedern in Italien gehören so klangvolle Namen wie Positano, Amalfi oder Orvieto. 2001 wurde Hersbruck in Mittelfranken als erste Stadt in Deutschland und als erste Stadt außerhalb Italiens aufgenommen. Es folgten Waldkirch im Breisgau und Überlingen am Bodensee, später etwa das pfälzische Deidesheim, Berching in der Oberpfalz oder die ehemalige Reichsstadt Nördlingen in Bayern.

Zurzeit gehören 24 deutsche Städte und Gemeinden dem Netzwerk an; am Mittwoch (17. April) beginnt ihre Frühjahrstagung in Lüdinghausen im Kreis Coesfeld. Weltweit gibt es es 240 Cittaslow-Städte aus 30 Ländern, darunter auch Australien, Neuseeland oder Südafrika. 13 Mitglieder gibt es allein in Südkorea, sechs in China und vier in Taiwan. Sitz der internationalen Vereinigung ist ein ehemaliges Kloster aus dem 15. Jahrhundert im historischen Zentrum von Orvieto.

Präsident von Cittaslow Deutschland und Vizepräsident von Cittaslow International ist seit 2015 der Bürgermeister von Deidesheim, Manfred Dörr. Von seiner 3.800-Einwohner-Gemeinde an der pfälzischen Weinstraße aus ermuntert er dazu, „Vereinheitlichung und Amerikanisierung“ von Städten zu verhindern, in denen nur noch „Franchise-Unternehmen dominieren“.

Die Hebel von Cittaslow: Förderung von Umwelt und Infrastruktur, Aufwertung einheimischer und regionaltypischer Erzeugnisse unter Ausschluss genmanipulierter Produkte, Gastfreundschaft, Bewusstsein und landschaftliche Qualität. Hinzu kommen eigene Veranstaltungen, etwa das CittaSlow-Festival in Nördlingen.