Tränen von der Insel Chios

Militärpfarrer Kristian Lüders über seine Begegnung auf See zwischen Griechenland und der Türkei mit der „Träne von Chios“ und dem Ausguck an Bord.

Auf See zwischen Griechenland und der Türkei
Auf See zwischen Griechenland und der TürkeiKristian Lüders

Die Schiffe der Marine sind viel unterwegs. An der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei ist ein Einsatzort. Die politische Lage ist kompliziert: Flüchtlinge, eine lange Geschichte. Die Soldatinnen und Soldaten erleben alles hautnah mit. Es gibt viele Fragen, und nicht jede Antwort ist befriedigend. In solchen Einsätzen ist immer auch ein Seelsorger dabei.

Der Pfarrer hat nicht mehr oder gar bessere Antworten, er hat gelernt, solche Situationen auszuhalten. Das tut gut und gibt Kraft weiterzumachen.

Seegrenze durch die Ägäis

Die Seegrenze zwischen der Türkei und Griechenland verläuft mitten durch die Ägäis. Es ist wunderschön dort. Die Winde sind heftig, und zwischen den hohen Bergen pfeifen sie ein ordentliches Lied. Der Regen befeuchtet die Berge, und alles ist grün. Auf der griechischen Insel Chios wächst ein wilder Pistazienstrauch. Das Harz dieses Strauchs schmeckt angenehm bitter.

Seit dem Altertum wird dieses Harz gekaut. Es wird als Mastix gehandelt und ist auch heute noch in jedem Kaugummi enthalten. Die Harztropfen glänzen vor der Ernte. Sie werden „Tränen von Chios“ genannt.

Aus politischen Gründen darf die Insel von der Besatzung der Marine nicht betreten werden. So bleibt die Geschichte eine Geschichte. Der Pfarrer steht mit dem Ausguck in der Nock. Die Sonne geht hinter der Insel auf. Beide kauen auf einer „Träne von Chios“.

Zwischen Kauen und Staunen

Und zwischen Kauen und Staunen erzählt der Soldat etwas von seiner Lebensgeschichte: Ein bisschen bitter, eine kleine Träne, und das Kauen der Worte tut gut.

Die Sonne scheint uns ins Gesicht. Warm ist sie und voller Hoffnung. „Ich glaube, das tut mir gut!“ Beide spüren, dass Gott da ist. Beide kauen, und die Sonne geht auf und scheint über die Ägäis, über das Leid, die Fragen und die Antworten. So klein. So groß ist Einsatzbegleitung. „Ich glaube, das tut mir gut!“, das gilt wohl auch dafür.

Unser Autor
Kristian Lüders ist Militärpfarrer am Marinestützpunkt Kiel.